Saúl Luciano Lliuya gegen RWE: Klimaklage mit Erfolg, FUgE news 3/2023

von Caroline Schroeder, Referentin für Klimaklage-Kommunikation Germanwatch
Sein Heimatort in Huaraz/Peru droht dem Klimawandel durch eine drohende Überschwemmung zum Opfer zu fallen.
FUgE news 3/2023 unter https://fuge-hamm.org/2023/07/01/fuge-news-ausgabe-03-2023

 

Seit acht Jahren kämpft Saúl Luciano Lliuya aus Peru dafür, dass RWE als einer der größten CO2-Emittenten Europas Verantwortung für Klimarisiken übernimmt. Saúl hat den Energieriesen verklagt – und schreibt schon jetzt Rechtsgeschichte. Im Frühjahr 2024 findet eine mündliche Verhandlung am Oberlandesgericht Hamm statt.
Saúl Luciano Lliuya, Bergführer und Kleinbauer aus der peruanischen Andenstadt Huaraz, kennt die nahegelenge Gebirgskette Cordillera Blanca wie kein anderer. Seit zwei Jahrzehnten beobachtet er mit Sorge, wie sich die Berglandschaft zunehmend verändert: „Die Gletscher sind längst nicht mehr das, was sie mal waren. Wegen des Klimawandels ziehen sie sich zurück. Am Gletschersee Palcacocha kann man es deutlich sehen. Das Eis schmilzt immer mehr und das Gestein tritt dunkel dahinter hervor. Hinter dem See türmt sich eine fast 2.000 Meter hohe Felswand auf. Mit bloßem Auge kann man beobachten, wie das Wasser aus der Wand läuft. Es ist, als würde der Berg weinen. Es plätschert und kracht und immer wieder stürzen Gesteinsbrocken ins Wasser.“

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Die Gletscherschmelze lässt seit Jahren den Wasserpegel des Palcacocha- Sees ansteigen. Allein seit 2003 ist der See um mehr als das Vierfache und seit 1970 um das 34- fache angewachsen. Die peruanische Katastrophenschutzbehörde warnt, dass es jederzeit zu einer Sturzflut kommen könnte; der Palcacocha- See sei der gefährlichste der Region. Schon 1941 fielen in Huaraz mehrere Tausend Menschen einer Flutwelle zum Opfer, nachdem ein großes Gletscherstück in den See gestürzt war. „Wenn man durch die Stadt läuft, sieht man nun überall Evakuierungsschilder. Jeden Tag könnte eine Katastrophe passieren. Eine Flutwelle würde mein Haus zerstören. Meine Familie und weitere 50.000 Menschen leben in der sogenannten Risikozone“, schildert Saúl das Risiko. Um die Gefahr dauerhaft abzuwenden, ist der Bau eines größeren Schutzdammes dringend notwendig.

RWE muss Verantwortung übernehmen
Saúl hat sich entschlossen, Initiative zu ergreifen. Im November 2015 hat er eine Klimaklage gegen RWE eingereicht. Als einer der größten CO2-Emittenten Europas ist RWE für rund ein halbes Prozent der weltweiten Treibhausgasemissionen verantwortlich. Der Energieriese trägt also zur Gletscherschmelze in den Anden und somit dem Flutrisiko in Huaraz bei. Deshalb fordert Saúl in seiner Klage, dass sich RWE an den Kosten für einen Schutz – damm beteiligt – umgerechnet mit 20.000 US-Dollar, gemäß dem Anteil RWEs an der Klimakrise. Er beruft sich dabei auf § 1004 des deutschen Bürgerlichen Gesetzbuchs, den sogenannten Nachbarschaftsparagrafen. Es handelt sich bei der Klage also um einen globalen Nachbarschaftsstreit. Den beklagten Konzern und den Kläger trennen zwar rund 10.000 Kilometer. Aber über die weiterhin hohen CO2-Emissionen des Essener Unternehmens, deren globale Folgeschäden auch Menschen in Peru betreffen, sind sie miteinander verbunden. „RWE muss Verantwortung übernehmen“, fordert der Bergführer. „Wir in Peru haben kaum etwas zum Klimawandel beigetragen, leben aber mit den schlimmsten Konsequenzen.“

Großer Erfolg: Eintritt in die Beweisaufnahme
Das Verfahren gegen RWE schreibt schon jetzt Rechtsgeschichte. Es befindet sich inzwischen in der Beweisaufnahme vor dem Oberlandesgericht (OLG) in Hamm. Ein großer Erfolg. Denn somit hat das OLG als erstes Gericht weltweit festgestellt, dass ein privates Unternehmen grundsätzlich für den Schutz Betroffener vor mitverursachten Klimarisiken verantwortlich gemacht werden kann. „Die größte Hürde haben wir bereits genommen. Nämlich die Entscheidung, ob Klimaschäden zu einer Haftung von Unternehmen führen können. Von nun an müssen wir uns mit den Fakten und der Wissenschaft auseinandersetzen“, so Saúls Rechtsanwältin Dr. Roda Verheyen.
In der Beweisaufnahme wird zunächst der Frage nachgegangen, inwieweit das Grundstück von Saúls Familie von einer Flutwelle bedroht ist. Liegt ein rechtlich relevantes Risiko vor, wird im nächsten Schritt untersucht, inwieweit der Klimawandel und damit Emissionen durch RWE das Flutrisiko zu verantworten haben. Ende Mai 2022 reisten Richter*innen des OLG Hamm, Rechtsbeistände und vom Gericht bestellte Gutachter*innen nach Peru, um Saúls Grundstück und den See in Augenschein zu nehmen. Ein Ortstermin in den peruanischen Anden – für alle Beteiligen eine Neuheit.

Acht Jahre Klage gegen RWE – mündliche Verhandlung im Frühjahr 2024
Saúl hat bereits einen langen Weg hinter sich. Am 24. November jährt sich der Tag der Klageeinreichung zum achten Mal. Bis zur Urteilsverkündigung wird es noch dauern. Doch im nächsten Jahr steht ein wichtiges Ereignis an. Im Rahmen der Beweisaufnahme kommt es zu einer mündlichen Verhandlung in Hamm. Gegenstand des Termins wird das Gutachten zum Flutrisiko sein. Saúl wird dafür nach Deutschland kommen. Der genaue Termin steht noch nicht fest, doch Saúls Unterstützer* innen stecken schon jetzt in den Vorbereitungen. So auch FUgE und die Umwelt- und Entwicklungsorganisation Germanwatch. Denn zusammen möchten wir Saúl beweisen, dass wir hinter ihm stehen. Bis es soweit ist, können Sie sich online über die Aktion „Globale Nachbarschaft in der Klimakrise“ mit ihm solidarisieren. Schon über 3.500 Menschen weltweit haben unterschrieben – und Saúl eine persönliche Nachricht geschickt. Die Botschaften seiner „globalen Nachbar*innen“ liest Saúl mit Freude, wenn er von seinen Bergtouren zurückkehrt. Sie geben ihm Mut: „Auf diesem Weg habe ich so viel Zuspruch und Unterstützung bekommen. Das zeigt mir: Ich bin nicht allein.“

Rechtliche Verfahren sind langwierig und kostspielig. Die Stiftung Zukunftsfähigkeit hat sich gegenüber Saúl verpflichtet, ihm entstehende Kosten in voller Höhe zu übernehmen. Sie können Saúls Klage mit einer Spende an die Stiftung unterstützen:
https://rwe.climatecase.org/de/spenden

Informieren und mit Saúl solidarisieren:
https://rwe.climatecase.org/de