Die aktuelle Diskussion zum Thema Klimawandel bat herausragende Gelegenheit, den Zusammenhang zwischen umweltpolitischen Maßnahmen im Norden und den Entwicklungsproblemen im Süden zu verstehen. Für die vorliegende Maßnahme ergaben sich damit zwei Schwerpunkte, Klimawandel in den Ländern des Südens und die Klimapolitik hier in Deutschland.
Neben Informationsveranstaltungen zu den Folgen des Klimawandels lag der Fokus auf lokale Handlungsfelder wie Verkehr, Energie und Geldanlage.
Auf diese Weise will FUgE e.V. zum einen die globale Dimension des Problems verdeutlichen, zum anderen einen Beitrag dazu leisten, dass hier im Norden tatsächlich Taten dem Reden folgen.
Siehe z.B. das Streitgespräch über den Kraftwerksneubau in Hamm-Uentrop „Aus alt mach neu!“ mit Bärbel Höhn und Marc Herter, das am 23. Januar 2008 stattfand:
Aus alt mach neu! – Zum Streitgespräch zwischen Bärbel Höhn und Marc Herter über den Kraftwerksneubau in Hamm-Uentrop
am 23. Januar 2008
Von Lars Büthe
Es war ein spannender, interessanter und langer Abend voller Fakten, Kontro- versen und Übereinstimmungen. Was bleibt? Gibt es ein Fazit der Diskussion zwischen Marc Herter (Aufsichtsratsvorsitzender der Stadtwerke Hamm) und Bärbel Höhn (frühere Umweltministerin in NRW und jetzt stellvertr. Vorsitzende der Grünen-Fraktion im Bundestag)?
Marc Herter legte überzeugend dar, warum sowohl die Stadtwerke als auch der Rat der Stadt Hamm den Bau des Kohlenkraftwerks unterstützen. Bärbel Höhn legte nicht weniger überzeugend dar, war- um sie und ihre Partei den Neubau von Kohlekraftwerken ablehnen.
Bärbel Höhn warnte mit Verweis auf die vor allem in den 80er und 90er Jahren geplanten und gebauten Müllverbrennungsanlagen davor, auch in der Stromversorgung Überkapazitäten aufzubauen. Zumal der massive Zubau von fossilen Kraftwerken auf Jahrzehnte den Ausbau der Regenerativen bremse. Marc Herter hielt dem entgegen, dass im Zuge des Atomausstiegs Bedarf an Ersatzkapazitäten bestehe. Für die Erneuerbaren sei also auch nach dem Bau neuer Kohlekraftwerke genug Platz im Markt. Auf absehbare Zeit sei die konventionelle Stromerzeugung preiswerter als die Nutzung erneuerbarer Energien, so dass ein Mix sozialverträgliche Preise garantiere. Zudem seien Wind- und Sonnenenergie nicht grundlastfähig. Nur die Biomassenutzung, die noch wenig genutzte Geothermie und mit Einschränkungen die Wasserkraft können auf regenerativer Basis Grundlaststrom bereitstellen.
Höhn hingegen hält bis 2050 bei entsprechender Energieeinsparung und höheren Energieeffizienz eine Versorgung durch regenerative Energie für machbar. Auch sei regenerative Energie durch ihren Mix und große Einzugsgebiete auf europäischer Ebene durchaus grundlastfähig („irgendwo weht immer Wind“). Gegen die „Besatzungszonen“ durch die großen Energiekonzerne sei eine konsequente Klimapolitik allerdings schwer durchsetzbar.
Ein anderer großer Diskussionspunkt war die Kraft-Wärme-Kopplung. Bei der Stromproduktion fällt bekanntlich quasi als Abfallprodukt Wärme ab, die bei Großkraftwerken zumeist ungenutzt an die Umwelt abgegeben wird. Technisch ist auch bei den großen Kondensationskraftwerken eine Fernwärmeauskopplung möglich, die den Gesamtwirkungsgrad erheblich verbessert. Allerdings scheitert dies bei den meisten Großkraftwerken – so auch in Uentrop – daran, dass vor Ort für die Wärme kein Bedarf besteht und ein Transport über weite Strecken weder wirtschaftlich noch energetisch sinnvoll ist. Dezentrale Systeme können hier Abhilfe schaffen: Die Stadtwerke Hamm betreiben bereits zwei Gas-Blockheizkraftwerke, um das Fernwärmenetz zu bedienen. Inzwischen sind auch wesentlich kleinere sogenannte Mini-BHKW verfügbar, die so ausgelegt sind, dass sie den Wärmebedarf von einem Mehrfamilienhaus decken, und – quasi in Umkehrung des Prinzips der Großkraftwerke – den Strom als „Abfallprodukt“ ins öffentliche Netz einspeisen.
Hiermit ist nur ein kleiner Teil des Diskussionsverlaufs nachgezeichnet worden. Aber wer hatte die besseren Argumente? Wer hat letztlich Recht? Zuweilen dient es der Klarheit, eine differenzierte Diskussion versuchsweise radikal zu vereinfachen.
Die von Bärbel Höhn vertretene Position orientiert sich konsequent an den Belangen des Klimaschutzes. Der Verzicht auf neue Kohle-Großkraftwerke ist ein wesentlicher Baustein einer Energiewende hin zur dezentralen Versorgung mit Kraft-Wärme-Kopplung und regenerativen Energien bei einem deutlich gesenkten Gesamtenergieverbrauch.
Kann es angesichts der gesicherten Erkenntnisse zum Klimawandel da noch Widerspruch geben?
Die Gegenposition, wie sie wohl gemerkt Marc Herter allenfalls ansatzweise vertreten hat, könnte lauten: Hamm braucht die Arbeitsplätze. Hamm braucht die Kaufkraft der Beschäftigten. Hamm braucht die Steuereinnahmen. Das Kraftwerk macht den Standort Uentrop für energieintensive Unternehmen attraktiv. Die Kohlendioxidemissionen beeinträchtigen nicht die Lebensqualität in Hamm. Und wenn das Kraftwerk nicht in Hamm gebaut wird, wird es woanders gebaut.
Und der Klimaschutz? Bringt eine gute CO2-Bilanz der Kommune irgendwelche Vorteile? Das wirtschaftliche Risiko, das sich aus den steigenden Preisen für CO2-Emissionsrechte ergibt, liegt jedenfalls allein bei den RWE. Diese Sichtweise entbehrt nicht des Zynismus. Aber sie führt uns zum Kern des Problems: Sollen wir auf alle das verzichten?“
Die großen Energieversorger können jetzt noch Fakten schaffen und eine Struktur der Energieversorgung zementieren, die eigentlich nicht mehr tragfähig ist, sobald der Emissionsrechtenhandel voll greift. Entstehen somit in den nächsten Jahren reihenweise Investitionsruinen, da die Kosten für die Emissionsrechte die Stromerzeugung in Kohlekraftwerken unrentabel machen? Im Gegensatz zu Bärbel Höhn gehe ich nicht davon aus. Ohne die großen Energieversorger dämonisieren zu wollen: Der politische Einfluss von RWE, e.on, Vattenfall und EnBW ist sicherlich groß genug, um die Belastung durch Emissionszertifikate unterhalb der kritischen Schwelle zu halten. Keine NRW-Landesregierung würde tatenlos zusehen können, wenn RWE in den Ruin getrieben würde.
Letztlich ist zu befürchten, dass der Bau neuer Kohlekraftwerke dazu führt, dass die Elektrizitätswirtschaft die CO2-Emissionen in den nächsten Jahren und Jahrzehnten weniger senken kann, als möglich und wünschenswert wäre. Sollen die nationalen Minderungsziele dennoch erreicht werden, muss in den anderen Sektoren wie Verkehr, Wärmeversorgung und Industrie mehr getan werden. Der Grundgedanke des Emissionsrechtehandels, dass Emissionsminderungen dort erfolgen, wo sie am kostengünstigsten zu realisieren sind, wird somit konterkariert.
Als Zwischenergebnis ließe sich für Hamm also festhalten: Der Kraftwerksneubau ist Unsinn, aber Hamm kann von diesem Unsinn profitieren. Tatsächlich stellt sich die Frage, ob die Kommunen die richtige Ebene sind, um über die zukünftige Struktur der Energieversorgung zu befinden. Ist es nicht naiv, darauf zu setzen, dass die Kommunen, die um jeden neuen Arbeitsplatz kämpfen, sich geschlossen dem Neubau von Kraftwerken widersetzen? Gilt das nicht im besonderen Maße, wenn die Alternative zum Neubau die baldige Aufgabe des Standorts und damit der massive Verlust von Arbeitsplätzen wäre?
Was kann stattdessen eine Kommune tun, um das Klima zu schützen? Sie kann über die Bauleitplanung Einfluss auf die Siedlungsstruktur nehmen. Attraktive Wohngebiete in zentraler Lage mit gutem ÖPNV-Anschluss tragen zur Verkehrsver- meidung bei. Sie kann Stadtteilzentren fördern und somit Einkaufsmöglichkeiten im fußläufigen Bereich gewährleisten. Sie kann ihren eigenen Gebäudebestand energetisch sanieren. Sie sollte, wie Bärbel Höhn den Diskussionsteilnehmern vor- schlug, durch einen „Runden Klima-Tisch“ das Thema Klimaschutz zu einem lokalen Thema für möglichst Viele machen oder durch einen Tag der „Offenen Tür“ von Einrichtungen mit regenerativer Energieversorgung und Wärmedämmung zusammen mit den Medien für praktischen Klimaschutz vor Ort werben.
All diesen Maßnahmen ist gemein, dass sie für die Stadt positive Nebeneffekte haben.
Die Gebäudesanierung senkt die laufenden Energiekosten. Wer im Zentrum wohnt, gibt einen Großteil seines Geldes in der Stadt aus, während die Kaufkraft der Familien im Randbereich oftmals in den Nachbarkommunen oder über den Versandhandel ganz woanders wirksam wird. Jedes Einzelhandelsgeschäft in den Stadtteilzentren steigert das Steueraufkommen und sichert Beschäftigung.
Die fatale Entwicklung hinsichtlich neuer Großkraftwerke muss hingegen vor- nehmlich auf Landes- und Bundesebene gestoppt werden: Zum Beispiel in Hamburg-Moorburg.
Weitere Details zum Projekt finden Sie
in der Projekt-Dokumentation Dokumentation (pdf 6,5 MB)
sowie in den FUgE news:
- FUgE-News-2008_01: Klimawandel und Gerechtigkeit
- FUgE-News-2007_02: Hamms Antwort auf den Klimawandel?