Europawahl: Wer will was?
Karl A. Faulenbach und Michael Thon
In: FUgE-News Ausgabe 01/2024
FUgE hat zur Europawahl den für Hamm zuständigen fünf Kandidat*innen drei zentrale Fragen gestellt, die die Arbeit von FUgE direkt betreffen und um kurze Antworten gebeten. Vier der angefragten Parteien haben bis Redaktionsschluss geantwortet.

Wie wollen Sie sicherstellen, dass im Europaparlament und in der UE der Klimaschutz so umgesetzt wird, dass wir bis 2050 die geplanten Klima – neutralität auch erreichen?
Özlem Alev Demirel (Die Linke): Wir wollen Strukturwandel sozial-ökologisch. Das heißt Arbeitsplätze erhalten durch insgesamt 40 Milliarden Euro Investitionen, um die Einkommen zu sichern und notwendige Übergänge in klimaschonende Wirtschaftszweige fair zu gestalten.
Bis 2035 wollen wir den Energiebedarf durch den Ausbau erneuerbarer Energien decken. Dazu wollen wir Strom sparen, aber sozial gerecht – das heißt: ein kostenfreies Grundkontingent an Strom und Wärme für alle. Alles, was über den durchschnittlichen Verbrauch hinausgeht, wird teurer. Strom und Gassperren müssen verboten werden. Ebenso wollen wir den ÖPNV für alle kostenfrei inklusive einer Mobilitätsgarantie für den ländlichen Raum. Finanzierbar ist dies mit einer Vermögenssteuer und einer sozialen Steuerreform für Klimaschutz. Zudem muss das Verursacherprinzip gelten.
Dennis Radtke (CDU): Effektiver Klimaschutz gelingt nur mit der Indus – trie als Partner und nicht als Gegner. Wir in Europa müssen den Beweis antreten, dass „Emissionen und Umweltbelastungen runter“ und „Wachstum und Löhne rauf“ gemeinsam gelingen können. Wir setzen in der CDU und der EVP-Parteienfamilie auf marktbasierte Lösungen wie Emissionshandel, Technologieoffenheit, Kreislaufwirtschaft, Ausbau erneuerbarer Energien und mehr Energieeffizienz. Unser Ziel ist es, Investitionen in Technologie und Innovationen zu ermöglichen. Zusätzlich wollen wir die CCS-Technologie einsetzen und eine CO2-Kreislaufwirtschaft.Mit dem Grenzsteuerausgleich bei energieintensiven Produkten und den Elementen des „Green Deal“ hat die EU ambitioniert viele Weichen für die Zukunft in Richtung Klimaneutralität gestellt.
Ich setze auf die Perspektive eine klimaneutrale Industrie in Nordrhein- Westfalen mit Leuchtturmprojekten wie eine neue Stahlproduktion ohne Kohle auf Basis von klimaneutralem Wasserstoff. Unsere Heimat soll Industrieland bleiben!
Dr. Tobias Cremer (SPD): Um die Klimaneutralität bis 2050 zu erreichen, setze ich mich für eine schnelle Dekarbonisierung und den massiven Ausbau der erneuerbaren Energien ein. Dabei spielen die Förderung der Elektromobilität, die nachhaltige Wasserstoffwirtschaft und der Ausbau der Netzinfrastruktur eine zentrale Rolle. Wir sehen die Energiewende als Chance für Wirtschaft und Gesellschaft, die niemanden zurücklässt und europaweit getragen wird.
Christoph Ecker (FDP): Demokraten streben danach, die Erderwärmung auf maximal 1,5 Grad zu begrenzen. Dabei setzt die FDP auf den Emissionshandel und die Offenheit für verschiedene Technologien, um die Klimaziele Europas zu erreichen. Der Emissionshandel stellt das wirksamste und effizienteste Instrument zum Klimaschutz dar, da er klare Grenzen für Treibhausgasemissionen setzt. Bis zum Jahr 2035 streben wir an, die Systeme ETS 1 und 2 zu fusionieren, um ihre Effizienz weiter zu steigern. Dabei sollen auch verbleibende Emissionsquellen wie Abfall- und Landwirtschaft einbezogen werden. Unser mittelfristiges Ziel ist die Einführung einer einheitlichen CO2-Bepreisung.
Einerseits geht es um die Sicherung des Asylrechts, eine humane Flüchtlingspolitik und gleichzeitig um geringere Flüchtlingszahlen für Europa. Wie soll das zukünftig sichergestellt werden?
Dennis Radtke (CDU): Das deutsche Asylrecht richtet sich nicht zuerst an Flüchtlinge, sondern an politisch Verfolgte vor dem historischen Hintergrund des Totalitarismus des 20. Jahrhunderts. Auf EU-Ebene führt die Anwendung des Prinzips der Nichtzurückweisung an der Grenze zur Prüfung des Status aller Flüchtlinge. Flucht vor Not, Armut und Verfolgung findet unabhängig von der Fähigkeit zur erfolgreichen Einwanderung in eine Aufnahmegesellschaft statt.
Eine fehlende und nicht erfolgreiche Integration führt zu sozialen und kulturellen Spannungen und Belastung des Sozialstaats. Einwanderung bedeutet auch, sich die Einwanderer auszusuchen, nicht ungeregelte Zuwanderung von Fluchtmigration. Die EU hat sich 2023 auf eine Verbesserung der Rechtsgrundlagen für die Bewältigung von Flüchtlingskatastrophen geeinigt. Wir wollen Frontex stärken und das Konzept sicherer Drittstaaten umsetzen. Das Asylverfahren und die Einwanderung müssen getrennt betrachtet werden. Anreize für Sekundärmigration nach Deutschland aufgrund erhöhter Sozialleistungen wollen wir reduzieren und vermeiden.
Christoph Ecker (FDP): Wir Freien Demokraten streben danach, den Pakt für sichere, geordnete und reguläre Migration der Vereinten Nationen auch auf europäischer Ebene umzusetzen. Europäische Entwicklungszusammenarbeit sollte vor allem präventiv gegen Fluchtursachen vorgehen, um diese langfristig zu mildern. Wir unterstützen die Einrichtung humanitärer Schutzzonen in Absprache mit den betroffenen Staaten und mit finanzieller Unterstützung durch die EU. Wir setzen uns dafür ein, dass Asylanträge auch in Drittstaaten geprüft werden können. Dadurch erhalten Betroffene die Möglichkeit, vor Ort zu prüfen, ob sie eine Aussicht auf ein Bleiberecht in der EU haben und gegebenenfalls auf eine gefährliche Flucht verzichten können. Dabei achten wir selbstverständlich auf die Einhaltung der Genfer Flüchtlingskonvention sowie der Grund- und Menschenrechte.
Dr. Tobias Cremer (SPD): Die SPD ist für eine solidarische Migrationsund Flüchtlingspolitik in Europa, die Humanität und Ordnung miteinander verbindet. Wir kämpfen für ein faires europäisches Asylsys – tem, das Migration besser steuert und ordnet und gleichzeitig die individuellen Rechte von Schutzsuchenden schützt. Dazu ist es wichtig innerhalb Europas genau hinzuschauen, wo Menschen eine legale Bleibeperspektive haben können. Damit verbundene Kosten müssen gerecht in Europa verteilt werden und dürfen nicht auf einzelne Staaten oder einzelne Kommunen abgewälzt werden. Ebenso wichtig ist es aber auch, dass Fluchtursachen bekämpft werden, um die Zahl der Flüchtlinge langfristig zu reduzieren, ohne das individuelle Recht auf Asyl zu gefährden.
Özlem Alev Demirel (Die Linke): Wir lehnen die Defacto-Abschaffung des individuellen Rechts auf Asyl mit der GEAS, die sogenannte EU- Asylrechtsreform, ab. Für uns gilt: Fluchtursachen bekämpfen, nicht Geflüchtete! Fluchtursachen hängen fast immer mit Krieg und der weltweiten Ungleichheit zwischen Arm und Reich zusammen. Diese Ungleichheit wächst durch Ausbeutung in unfairen Handelsbeziehungen, das Erstarken der großen Agrarunternehmen, rücksichtslos agierende Konzerne und den durch die Industrieländer in erster Linie zu verantwortenden Klimawandel. Geflüchtete, egal welcher Herkunft, müssen schneller und unbürokratischer aufgenommen und integriert werden. Dass das möglich ist, sieht man am Umgang mit den Geflüchteten aus der Ukraine. Wir brauchen öffentliche Investitionen für alle, d.h. gute ausgestattete Kommunenstatt Konkurrenz um Arbeitsplätze, Wohnungen und Bildung, damit die Rechten nicht Menschengegeneinander ausspielen können.
Der faire Handel könnte ein Beispiel für Handelsabkommen mit Ländern des globalen Südens sein. Was will ihre Partei tun, um den Anteil des fairen Handels in unserem Land zu erhöhen, das angestrebte Lieferkettengesetz umzusetzen und Handels abkommen zu schließen, die auf den Prinzipien des fairen Handels beruhen?
Dr. Tobias Cremer (SPD): Wir setzen uns für faire Handelsbeziehungen und die Umsetzung des Lieferkettengesetzes ein, um Umwelt- und Sozialstandards in globalen Produktionsketten zu stärken. Durch die Förderung fairer Handelsabkommen und die Stärkung der Kreislaufwirtschaft streben wir eine nachhaltige und faire Wirtschaft an, die gute Arbeitsbedingungen, den Schutz von Menschenrechten, den Umweltschutz und den Kampf gegen den Klimawandel in den Mittelpunkt stellt.
Özlem Alev Demirel (Die Linke): Wir begrüßen den Beschluss des EU-Lieferkettengesetztes, welches vorsieht, dass sich Opfer von Menschenrechtsverletzungen oder Umweltschäden an europäische Zivilgerichte wenden können, um ihre Rechte durchzusetzen. Leider wurde es stark abgeschwächt und gilt nur noch für rund 5.500 Unternehmen.
Wir wollen Kooperations- statt Freihandelsabkommen. Die Abhängigkeit des globalen Südens als Rohstofflieferant wollen wir durch faire Handelsabkommen überwinden. Fairer Handel soll die normale Form von Handel werden, international wie auf lokalen Wochenmärkten. Ökologische und soziale Standards dürfen nicht mehr zu kurz kommen. Die Einfuhr von seltenen Rohstoffen, die in Konfliktregionen gefördert werden, wollen wir beenden.
Christoph Ecker (FDP): Wir Freien Demokraten setzen uns für einen fairen, regelbasierten und verantwortungsvollen Handel ein, wobei eine reformierte Welthandelsorganisa – tion (WTO) als Grundlage dient. Besonders in einer Zeit, in der der Multilateralismus angezweifelt wird und Protektionismus sowie Abschottungstendenzen weltweit zunehmen, gewinnt dies an Bedeutung. Unser Ziel ist die Schaffung einer Weltfreihandelszone der Demokratien. Dabei streben wir an, Freihandelsabkommen verstärkt nach geostrategischen Gesichtspunkten auszurichten und ihre Inhalte auf wesentliche Ziele zu fokussieren, um eine Überfrachtung mit zusätzlichen Themen und Pflichten zuvermeiden. Wir bevorzugen die Erarbeitung von Handelsabkommenin individueller Absprache mit unseren Partnern, anstatt einem „onesize-fits-all“-Ansatz zu folgen.
Dennis Radtke (CDU): Fair gehandelte Rohstoffe, zum Beispiel im Bereich Landwirtschaft wie Kaffee und Früchte, müssen auf eine erhöhte Zahlungsbereitschaft von Endverbrauchern treffen. Die Wirtschaftspolitik kann dem Handel nicht die Inhalte seiner ökonomischen Transaktionen und die Preise vorschreiben. Mit den Lieferketten – gesetzen werden Sorgfaltspflichten zur Einhaltung von sozialen Standards vorgeschrieben. Die Globalisierung darf nicht länger dazu führen, dass die niedrigsten ökologischen und sozialen Standards zu Raubbau an Mensch und Natur führen. Höhere Preise würden aber den Wohlstand der Konsumenten verringern. Ökologische Verschwendung wie „Fast fashion“ sollte nicht gefördert werden. Das europäische Lieferkettengesetz wird anscheinend in mehreren zentralen Punkten über das deutsche Lieferkettengesetz hinausgehen. Es ist zu befürchten, dass die neuen Vorgaben zu weiteren Auflagen und großen bürokratischen Belas – tungen für unsere kleinen und mittelständischen Unternehmen führen werden. Das Gesetz wird so nicht dazu beitragen, die Wettbewerbsfähigkeit unserer Unternehmen in Europa zu stärken, im Gegenteil. Es kommt zu einer Zeit, in der die Betriebe ohnehin durch hohe Energiepreise, Fachkräftemangel und Engpässen in den Lieferketten belastet sind. Zudem ist fraglich, ob der Schutz der Menschenrechte und der Umwelt durch dieses Gesetz tatsächlich weltweit stärker durchgesetzt wird. Unternehmen könnten sich aufgrund der Auflagen auch aus Entwicklungsländern zurückziehen. Wenn Unternehmen aus anderen Ländern, wie beispielsweise China, diese Lücken füllen, wäre am Ende niemandem geholfen.
Dennis Radtke (CDU)
Meine Heimat ist das Ruhrgebiet. Ich bin verheiratet und Vater von einer Tochter und einem Sohn. In meiner Freizeit verbringe ich gerne Zeit mit meiner Familie im Ruhrgebiet, lese ich ein gutes Buch, gehe ich in die Oper oder ins Stadion zum Fußball. Als gebürtiger Wattenscheider habe ich mich schon während meiner Ausbildung zum Industriekaufmann in der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie und Energie (IG BCE) engagiert. Seit Juli 2017 vertrete ich „unser Revier“ in Brüssel. Dort gehöre ich dem Ausschuss für Beschäftigung und soziale Angelegenheiten (EMPL) sowie dem Ausschuss für Industrie, Forschung und Energie (ITRE) an.
Dr. Tobias Cremer (SPD) 
Ich bin im Ruhrgebiet geboren und aufgewachsen. Die europäischen Werte und Chancen habe ich schon früh zum Mittelpunkt meines Lebens gemacht. Nach einem Bachelor- und Masterstudium in Frankreich, England und den USA promovierte ich in England und arbeitete als Dozent für Politikwissenschaft an der Universität Oxford. Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine im Juni 2022 bewog mich zu einem Wechsel in die diplomatische Laufbahn: Als Diplomat im Auswärtigen Amt bin ich heute in der Europaabteilung für die baltischen Staaten zuständig. Gerade in Zeiten, in denen die europäische Idee von innen und von außen in Frage gestellt wird, will ich mit meiner Kandidatur für ein sicheres, gerechtes und handlungsfähiges Europa eintreten, das mit Zuversicht in die Zukunft schauen kann.
Özlem Alev Demirel (Die Linke) 
Als Tochter einer politischen Flüchtlingsfamilie kam ich 1989 nach Deutschland. Mit 14 Jahren wurde ich aktives Mitglied im Bundesvorstand der DIDF-Jugend, der Jugendorganisation der Föderation demokratischer Arbeitervereine e.V.. In der Redaktion der dortigen Jugendzeitschrift und bei der deutschen Ausgabe der türkischen Oppositionszeitung Evrensel habe ich mitgewirkt. Iich besitze neben der deutschen auch die türkische Staatsbürgerschaft. Direkt nach meinem Abitur bin Rat der Stadt Köln gewählt worden. Ich wurde Gründungsmitglied der Partei DIE LINKE und brachte mich ein im Europäischen Friedensrat Türkei, der sich für eine demokratische und friedliche Lösung der sogenannten Kurdenfrage eingesetzt hat. Studiert habe ich an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms- Universität Bonn und einen Magister-Abschluss als Politologin.
Ich war NRW-Landtagsabgeordnete von 2010 bis 2012, Projektreferentin bei IDA (Informations- und Dokumentationszentrum für Antirassismusarbeit e.V.) NRW, DIDF-Bundesvorsitzende, Landesvorsitzende der Partei Die Linke in NRW und Gewerkschaftssekretärin bei Verdi. Seit meiner Wahl in das Europäische Parlament im Sommer 2019 ruht meine Tätigkeit als Verdi-Gewerkschaftssekretärin.
Seit 2011 bin ich verheiratet, mit meinem Mann und meinen zwei Kindern lebe ich in Düsseldorf.
Christoph Ecker (FDP) 
Ich bin 35 Jahre alt und wohne in Schwerte. Von Beruf bin ich technischer Angestellter im Einkauf. Auf kommunaler Ebene bin ich für die FDP-Fraktion im Rat der Stadt Schwerte Sprecher im Ausschuss Planen, Bauen, Wohnen und Sprecher im Ausschuss für Wirtschaft und Finanzen. Im FDP Ortsverband Schwerte bin ich Vorstandsmitglied. Des Weiteren bin ich Europakandidat für die FDP im Kreis Unna.