Von Sameera und Ayana
In: FUgE news 1/2025 zu lesen
unter https://fuge-hamm.org/2024/12/01/fuge-news-ausgabe-01-2025
Wenn Gott dich auswählt, in Syrien zu leben, dann hüllt er deine Seele in einen Mantel des Kämpfens. Wenn du mehr willst, als nur zu überleben, wenn du leben möchtest, dann musst du kämpfen. In mir lebt eine freie Frau, doch die Fesseln meiner Gesellschaft und meiner Familie haben sie in Ketten gelegt. In mir lebt eine starke Frau, aber die zahllosen Enttäuschungen in einem Land, das vom Elend gezeichnet ist, haben ihre Kraft geschwächt.
In meiner Jugend war ich ein träumerisches, optimistisches Mädchen, das über einem Sumpf aus Zerstörung, Korruption und Unterdrückung schwebte. Als der Frühling meines Lebens zu blühen begann, brach der Krieg aus und verwandelte diesen Frühling in einen kalten Herbst, der all meine Hoffnungen und Träume hinwegfegte. Seitdem habe ich mein Leben auf eine einzige Suche ausgerichtet: ein Land zu finden, in dem ich wieder erblühen kann. Meine Reise begann mit dem Ziel, einen Ort zu erreichen, an dem ich nicht den Geruch von Tod und Schießpulver einatmen musste – einen Ort, an dem ich meine Freiheit, mein Gleichgewicht, meine Stärke und meine Träume wiederfinden könnte.
Als ich endlich deutschen Boden betrat, wusste ich, dass ich das ersehnte Ziel erreicht hatte. Deutschland, dieses Land hat seine Größe nach dem zweiten Weltkrieg erreicht, als es aus den Trümmern auferstand, dank des Willens und der unermüdlichen Arbeit seiner Bürger. Doch meine Freude war nur von kurzer Dauer. Das Gespenst des Elends verfolgte mich auch hier, in diesem sicheren Land. Ich war von Abschiebung bedroht, durch das Dublin-System. Und mein Elend verdoppelte sich, da ich im achten Monat schwanger war. Doch ich bin Syrerin und der Mantel des Kämpfens trieb mich, einen sicheren Ausweg zu suchen.
Wir begannen Kirchen in Nordrhein-Westfalen und Büros für Flüchtlingshilfe zu kontaktieren, aber mit jeder negativen Antwort schwand die Hoffnung. Dutzende Kirchen und Büros drückten ihr Bedauern aus, uns nicht aufnehmen zu können– bis wir schließlich das Büro der Flüchtlingshilfe in Hamm fanden. Ich erinnere mich noch genau an die Worte: „Willkommen hier“ –sie erweckten das Licht in mir, das längst erloschen schien. Sie berechneten einen Termin für unsere Aufnahme ins Kirchenasyl, sieben Wochen nach der Geburt meines Kindes.
Es gibt nichts Schöneres, als sich sicher zu fühlen. Es gibt nichts Wertvolleres, als seinem Kind eine Zukunft zu schenken, die es selbst wählen kann, statt ihm seine Kindheit und seine Träume zu rauben. An dem ersehnten Tag gingen meine Tochter und ich zu der angegebenen Adresse. Ein Mann wartete auf uns. Er empfing uns, als wären wir Teil seiner Familie. Ich hatte meine Tochter noch nie so behandelt gesehen, außer von mir selbst. Als ich das Haus betrat, wusste ich, dass dies die Belohnung meines Lebens war. Die Wohnung war mit allem ausgestattet, was man sich in meinem Heimatland nur wünschen könnte. Sie lag an einem Ort, den keine Bomben und keine Kugeln erreichen konnten. Umgeben von Kirchenglocken und Kinderlachen. Sie hatte Strom rund um die Uhr, sauberes Trinkwasser und heißes Wasser. Sie strahlte den Duft des Lebens aus. Ihre Wände waren warm und ihre Besucher brachten Liebe. Sie waren geschmückt durch ihren Einsatz und gesegnet durch ihren Glauben.
Während der drohenden Abschiebung verbrachten meine Tochter und ich diese Zeit dort und lernten, wie Sicherheit, Toleranz und Großzügigkeit in der Lage sind, das Leben eines Menschen zu erneuern und die schönsten Nationen zu schaffen. Die Wärme und der Trost, die ich hier erfahren habe, haben mir gezeigt, dass Deutschland nicht nur ein Land ist, sondern ein Zuhause für diejenigen, die in Not sind. In dieser kleinen Wohnung fand ich nicht nur Schutz, sondern auch die Hoffnung auf ein besseres Leben. Und dafür werde ich Deutschland für immer dankbar sein.
Nachtrag von Ayana
Danke!
Im Namen meiner Mama möchte ich mich bei allen bedanken, die uns in den letzten acht Monaten des Kirchenasyls begleitet und unterstützt haben.
Bei der Hammer Flüchtlingshilfe, die uns zugehört haben und dann den Kontakt zur Caritas herstellten.
Bei Frau Gebhard von der Caritas, die unsere Situation wohlwollend geprüft hat und dann bei der Gemeinde wegen des Kirchenasyls nachgefragt hat. Bei den Gemeinden des Hammer Ostens und Westens für die zur Verfügungstellung der kleinen Wohnung. Bei Frau Hoischen in Paderborn, die uns rechtlich begleitet hat und über das katholische Büro den Kontakt zum BAMF sichergestellt hat.
Bei der Kinderärztin Frau Michaela Gunnemann für die medizinische und vorsorgende Betreuung. Bei dem Team der Notaufnahme des EVK für die freundliche notärztliche Versorgung.
Bei Siegrid Baer für den liebevollen Deutschunterricht, bei Dr. Daniela Klein und Ruth Kessler für die freundschaftliche Begleitung und das Interesse an der arabischen Sprache. Bei Pastor Christoph Bittern für die liebevollen Gesten und Besuche. Bei Humanitas und dem Fairkaufladen der Caritas mit Elisabeth Wulf für die Versorgung mit Kleidung und notwendigen Gebrauchsgegenstän-den. Bei der FUgE für den Abdruck des Berichts, den meine Mama geschrieben hat, in den FUgE-News. Bei all den vielen Spendern, die dafür gesorgt haben, dass wir auch Lebensmittel und Kleidung für mich einkaufen konnten, denn ich bin in den acht Monaten schon ganz schön gewachsen. Bei Familie Gabriel und der Hausgemeinschaft, die uns freundlich unterstütz haben.
Und bei Opa Martin, der mit uns einkaufen und spazieren gegangen ist, der mit uns geweint und gelacht hat und uns immer ein Gefühl der Sicherheit gegeben hat.
Jetzt gehen wir zurück in die Flüchtlingsunterkunft nach Wickede und dürfen das deutsche Asylverfahren durchlaufen. Wir hoffen, dass wir bald einer Kommune zugewiesen werden, die nicht so weit von Hamm entfernt ist, denn hier haben wir schon Kontakte knüpfen können und fühlen uns hier zu Hause.
Winke, Winke!
Ayana