Mobilitätswende in Hamm – wie kann das gelingen?
Dr. Christian Muschwitz
FUgE-News Ausgabe 03/2020
Die Frage des Titels ist nicht leicht zu beantworten. In der Fachszene wird dabei die Abkehr vom Pkw und die Hinwendung zum Fuß-, Rad- und öffentlichen Verkehr verstanden. Allerdings über das wie, wann und wieviel herrscht mindestens Uneinigkeit. Politisch, gerade auf übergeordneter Ebene (EU, Bund) wird gern das ehrgeizige und oft abstrakte Ziel der CO2-Reduktion ausgerufen, aktuell eine Reduktion um 55 % bis zum Jahr 2030. Allerdings wird nur selten darauf geschaut, ob und wie das vor Ort gehen soll. Das ist umso schwieriger, als das hier zunächst niemand ernsthaft widersprechen würde. Dabei ist vermutlich den wenigsten Menschen bewusst, dass es nicht damit getan sein wird, das eigene Verbrennerauto gegen ein Elektroauto zu tauschen. Daher lautet ein Teil der Antwort auf die Ausgangsfrage: es kann nur gehen, wenn die Menschen mitmachen, dazu aber müssen sie wissen, was auf sie zukommt und erst recht müssen sie das dann auch wollen.
Relevanz des Themas
Die Reduktion der CO2-Emissionen, um dem Klimawandel wirkungsvoll zu begegnen, ist einleuchtend. Aus dem Bereich Mobilität entstammen rund 30 % der deutschen CO2-Emissionen, damit hat auch dieser Bereich einen Reduktionsbeitrag zu leisten. Skeptiker wenden gern ein, dass Deutschlands Anteil am globalen CO2-Ausstoß gerade einmal bei 2,1% liegt. Das ist richtig und weil im Bereich Mobilität auch langfris – tig keine Zero-Emission-Realität zu erwarten ist, wird der entstehende CO2-Minderungseffekt global kaum erheblich sein. Jedoch ist dies zu kurz gedacht, denn noch immer gelten die Lebensstandards der ersten Welt als erstrebenswert und richtungsweisend für die Schwellen- und Entwicklungsländer. Aber der Mobilitätsstandard in Deutschland kann niemals als Vorbild dienen: Derzeit kommen in Indien neun Kfz auf 1.000 Einwohner, in der VR China sind es zwölf Kfz, in Deutschland s i n d 682 Kfz zugelassen und in Hamm 606 Kfz. Wenn Asien und Afrika einen ähnlichen Motorisierungsgrad für sich reklamieren wollten, dann werden vermutlich fast alle Rohstoffe an die Grenzen ihrer Endlichkeit stoßen. Die Frage unserer Mobilität ist daher nicht allein eine Klimafrage, sie ist eine zutiefst ethische Frage, eine Frage der globalen Gerechtigkeit. Dabei sollte die Mobilität der Zukunft dennoch hohen Standards genügen: sie sollte für alle bezahlbar sein, sie sollte sicher sein, ressourcen effizient und klimaneutral, eine hohe Qualität bei der Beförderung liefern und ubiquitär verfügbar mit gleichen Standards operieren.
Panik hilft nicht, denn Mobilität ist komplex
Wenn die FfF-Bewegung fordert in Panik zu geraten, wird das im Bereich Verkehr und Mobilität nicht weiterhelfen. Eine neue Straßenbahntrasse von der Idee in die Realisierung zu überführen, kann in Deutschland durchaus mehr als zehn Jahre dauern. Selbst die Umstellung von Busverkehren: Erhöhung der Bedienfrequenz, Ausweitung der Routen, Substituierung der Fahrzeuge durch Zero- Emission-Varianten, ist nicht schnell erledigt. Neues Personal muss akquiriert und geschult werden, Fahrplananpassungen müssen in den Verkehrsverbund eingebracht und genehmigt werden, damit einhergehende Tarifänderungen müssen kalkuliert und gleichfalls genehmigt werden, Geld in den kommunalen Haushalten muss umgeschichtet und bereit gestellt werden usw. All das braucht kluge Planung und einen kühlen Kopf und geht leider nicht schnell! Erschwerend kommt hinzu, dass unsere Mobilität heute, das Ergebnis von 70 Jahren autoorientierter Raumentwicklung ist. Das Resultat ist eine fast absolute Abhängigkeit von der Automobilität, sie hat dazu geführt, dass die Funktionen im Raum und unser Alltag fast vollständig darauf abgestellt sind. Dies in kürzester Zeit ins Gegenteil verkehren zu wollen, ist unmöglich. Insofern könnte es sein, dass viele Menschen dereinst sehr enttäuscht sein werden, darüber, dass die hochfliegenden Ziele nicht erreicht wurden. Ich denke, es ist richtiger, sich erreichbare und konkrete Ziele zu stecken und ein meines Erachtens realisierbares Ziel ist eine Gleichverteilung der Anteile der Verkehrsmodi an der Erledigung des Verkehrs, d. h. 25% Fuß-, 25% Rad-, 25% motorisierter Individual- und 25% öffentlicher Verkehr. Ich halte das auch in Hamm für möglich. Mythen und Legenden der „neuen“ Mobilität Die Annahme, das Auto sterbe aus und junge Menschen wendeten sich ab, ist faktisch falsch. In allen großen Ballungsräumen und Metropolen und auch in Hamm steigt der Pkw-Besitz. Bis zum 25. Lebensjahr ist die Führerscheinbesitzquote wieder so, wie früher mit 19. Car-Sharing ist aktuell ein homöopathisches Phänomen, Hamm weist aktuell gerade einmal sieben Car-Sharing Autos auf. Teilen statt Besitzen bleibt ein frommer Wunsch; der Mensch an sich teilt nicht gern. Elektroautos werden allenfalls lokal eine Emissionsverbesserung herbeiführen. Bleibt die Pkw-Kultur aber wie sie ist, dann bleiben auch alle anderen Pkw-Probleme (Staus, zugeparkte Städte etc.). Autonom-fahrende Autos (Robotertaxis) haben das Potential, die Städte noch weitaus stärker mit Verkehr zu fluten und könnten das Ende des ÖPNV sein. Insofern gilt es stets, die Heilsversprechen von Innovationen zu hinterfragen.
Maßnahmen für Hamm
Der Fußverkehr in Hamm kann meines Erachtens vor allem dadurch gesteigert werden, dass wieder mehr auf kleinteilige und damit wohnungsnahe Versorgung gesetzt wird. Sodass auch der tägliche Einkauf etc. im Sinne einer echten Nahversorgung möglich wird. Hamm ist beim Radverkehr zwar auf einem guten Weg, dennoch ist eine weitere positive Entwicklung kein Selbstläufer, es fehlen schnelle Verbindungen ins Zentrum und solche zwischen den Stadtteilen, es braucht dringend mehr Alltagsradverkehr, das geht nur mit geeigneten Kampagnen, die zum Radfahren ermuntern. Beim ÖPNV in Hamm gibt es den deutlichsten Verbesserungsbedarf. Es sollten mehr und öfter Busse fahren, die Anschlüsse sollten im Sinne eines integrierten Taktfahrplans angepasst werden, die Fahrplanübersicht und Takte sollten kundenfreundlich überarbeitet werden, Tages- und Wochenrandzeiten sollten auch bedient werden und bei alledem sollte das Fahrpreisniveau überdacht werden. Last but not least braucht es proaktive Kampagnen für ein besseres Image. Beim Autoverkehr sehe ich keinen Handlungsbedarf, allein das Thema Ladeinfrastruktur und H2-Tanken sollte progressiv angegangen werden. Vor allem aber sehe ich für eine Mobilitätswende den Bedarf eines breit angelegten, integrierten Mobilitätskonzepts, das prüft, inwieweit die Hammer überhaupt schon bereit sind. Das mit ihnen gemeinsam Ziele für 2035+ festlegt und aufzeigt, wohin die Reise gehen wird. Weiterhin ist und bleibt es eine Langzeitaufgabe, die räumlichen Funktionen insgesamt wieder stärker am menschlichen Maßstab zu orientieren und nicht an der Autoerreichbarkeit.