Rückblick auf den Verkauf der fairen Bio-Orangen in Hamm

von Marcos A. da Costa Melo
Aus der FUgE-News Ausgabe 01/2022
in: https://fuge-hamm.org/2022/01/01/fuge-news-ausgabe-01-2022

logo-sos-rosarnoZwischen Dezember 2021 und Februar 2022 setzte der Interkulturpromotor im Regierungsbezirk Arnsberg den Verkauf der fairen Bio-Orangen von SOS Rosarno aus Süditalien in Hamm fort. Rosarno ist in der Öffentlichkeit bekannt, da dort Geflüchtete und Plantagenarbeiter am 7. Januar 2010, also vor über 10 Jahre, Straßensperre errichteten und gegen die schlechten Arbeitsbedingungen protestierten.
Dank der Vermittlung der Ev. Kirche von Westfalen und der Zusammenarbeit zwischen FUgE und BIOLAND-Hof Damberg konnten 2,8 Tonnen (280 Kisten) verkauft werden, was eine Spendensumme von 1.400 Euro brachte.
Diese Spende geht an die Initiative Mediterranean Hope, die Geflüchtete aus Afrika und Osteuropa Lebensmitteln und Kleidung verteilt, Wohnungen und medizinische Hilfe in Kalabrien bietet und nicht zuletzt Rettungsaktionen im Mittelmeer organisiert.

marcos-harald-orangen-aktion-hammMarcos da Costa und Harald Haun freuen sich über den Erfolg des Ausverkaufs der fairen Bio-Orangen in Hamm. (Foto: FUgE)

Unser Partner SOS Rosarno betreibt mit ihrer Genossenschaft Mani e Terra zertifizierte Bio-Gemüse- und -Orangen und bezahlt seinen Geflüchteten Tariflöhne sowie entsprechende Sozialbeiträge. Giuseppe Pugliese von SOS Rosarno erklärt uns, dass die landwirtlichen Betrieben Italiens sich wegen der Trockenheit, der undurchsichtige Zwischenhändler, Transportfirmen sowie Einkäufer von Discountern, und nicht zuletzt wegen der billigen Orangenproduktion aus China und Brasilien in einer tiefen Krise befinden. So war diese Verkaufsaktion mit insgesamt 100 Tonnen Orangen ein „Rettungsanker“ für die bäuerlichen Familienbetriebe aus Kalabrien. Für den Orangenanbau ist die Region besonders geeignet, da die Sommer heiß und trocken sind, während der Winter in der Regel feuchtkalt und regnerisch ist.

gefluechtete-auf-rosarnos-plantage Geflüchteter auf der Orangen-Plantage der Rosarnos Genossenschaft „Mani e Terra“. (Foto: SOS Rosarno)

Im Gegensatz zur Rosarno-Genossenschaft haben die Orangen aus konventionellen Betrieben in Süditalien eine andere Geschichte. Von November bis Anfang April helfen Tausende Wanderarbeiter bei der Obst- und Gemüseernte, in der Regel Männer und meist afrikanische Geflüchtete. Man schätzt, dass über 200.000 Saisonarbeitskräfte im Sektor der Landwirtschaft hier beschäftigt werden. Sie verdienen als Erntehelfer ca. 25 Euro für mehr als 10 Stunden Arbeit pro Tag, meist ohne verbindliche Verträge für Niedriglöhne, die kaum zum Überleben reichen. Sie müssen zudem bei Kälte in selbstgebauten Hütten aus Plastik und Kartons hausen und leben ohne Strom, Wasser und Kanalisation unter erbärmlichen Bedingungen. So beschreibt Gilles Reckinger in seinem Buch „Bittere Orangen – Eine neues Gesicht der Sklaverei in Europa“ ein Zelt in Rosarno: „Die Dusche besteht aus einem Eimer in einer Astgabel eines alten Orangenbaumes zwischen aufgespannten Plastikplanen. Auf dem Boden liegt eine umgedrehte Kiste aus Plastik, durch deren Ritzen das Wasser abrinnen kann, sodass man nicht im Schlamm stehen muss. Wenn die Bewohner auf die Toilette müssen, gehen sie über den kleinen Pfad hinter der Dusche in die benachbarte Plantage hinein. Vor einem zerbrochenen Spiegel rasieren sich die Männer“.

mitglieder-und-gefluechtete-rosarnos Mitglieder und Geflüchteter der Rosarnos Genossenschaft freuen sich auf die Ergebnis der Solidaritätsaktion der fairen Bio-Orangen in Deutschland. (Foto: SOS Rosarno)

Man fragt sich, wieso sich die Geflüchteten gerade in der Nähe dieser Orangen- und Gemüseplantagen Italiens befinden. Die Antwort liegt in der Struktur des italienischen Asylverfahrens. Bootsflüchtlinge, überwiegend Männer, werden z.B. nach ihrer Erstaufnahme in Lampedusa oder anderen Orten des Landes ohne jegliche finanzielle Unterstützung nach Sizilien und Kalabrien geschickt, wo ihr Asylverfahren stattfindet. Dort sind sie sich selbst überlassen und werden leicht zu billigen Tagelöhnern Süditaliens. Ein geringer Teil der Tagelöhner sind Saisonarbeitskräfte aus Rumänien und Bulgarien sowie aus Polen, Moldawien und Ukraine.logo-suess-statt-bitter

Durch den Verkauf der Bio-Orangen möchte FUgE faire Handelsalternativen aufzeigen und das Monopol der Supermarktketten, die die Preise der Orangen in Süditalien für ihren O-Saft diktieren, brechen. Zudem macht FUgE darauf aufmerksam, dass Flucht und Migration viele Gesichter hat. Es sind nicht nur die hoffnungslos überladenen und baufälligen Boote aus Afrika, die das Mittelmeer überqueren, sondern auch die Geflüchteten selbst, die später unter moderner Sklaverei auf Obst- und Gemüseplantagen nicht in Kolonien in der Übersee, sondern unmittelbar in Europa leiden.

Das Interkulturellen Promotor*innen-Programm wird von der Landesregierung NRW gefördert.