01.01.2020: Lieferkettengesetz – auch ein Thema für Hamm?

von Dr. Karl Faulenbach
in: FUgE-News Ausgabe 02/2019 – 01/2020

Deutsche Unternehmen haben beim Monitoring der Bundesregierung im Rahmen des Nationalen Aktionsplans Wirtschaft und Menschenrechte (NAP-Monitoring) schlecht abgeschnitten. Mit der Untersuchung wollte die Bundesregierung der Frage nachgehen, ob sich deutsche Unternehmen freiwillig an menschenrechtliche Standards halten. Nur 20% der Unternehmen gibt darin an, die Menschenrechtsanforderungen des NAP zu erfüllen. Die Angaben beruhen auf Selbstauskünften der teilnehmenden Unternehmen. Um auf die angestrebte Mindestanzahl von 400 Unternehmens-Antworten zu kommen, hatte die Bundesregierung die Laufzeit der Befragung zweimal verlängert und die Stichprobe von 1.800 auf 3.000 Unternehmen erweitert. 2.600 angeschriebene Unternehmen hatten sich an der Umfrage nicht beteiligt, so eine Pressemitteilung der Initiative Lieferkettengesetz vom 11. Dezember 2019.

Die derzeitige Bundesregierung hat in ihrem Koalitionsvertrag vereinbart, 2020 ein Lieferketten gesetz in den Bundestag einzubringen, sollte sich nicht eine Mehrheit freiwillig an menschenrechtliche Standards halten. Das Gesetz soll sicherstellen, dass Unternehmen auch im Ausland für die Einhaltung von Umwelt-, Arbeitsnormen und Menschenrechten mitverantwortlich sind. Um dieses Gesetz tatsächlich auch Realität werden zu lassen, hat sich im September ein großes Bündnis von Kirchen, Gewerkschaften, Hilfsorganisationen, Umwelt- und Eine-Welt-Gruppen in Berlin zu der Initiative Lieferkettengesetz zusammengeschlossen, um durch eine umfassende öffentliche Kampagne dieses Ziel im Parlament zu erreichen. Zu den weiteren Unterzeichnern gehört auch FUgE.
Sie verloren ihre Söhne bei dem Brand einer Fabrik, die hauptsächlich für KiK produzierte.

Warum und was steckt dahinter?
Als direkte Nachbarn des Textil-Billiganbieters KiK in Bönen haben wir uns in den letzten Jahren intensiv mit dem furchtbaren Unglück einer KIK-Zulieferfabrik in Pakistan 2012 mit 258 zu Tode gekommenen Menschen auseinandergesetzt. Trotz der Bemühungen, vor deutschen Gerichten für die Betroffenen eine Entschädigung zu erstreiten, wurde dies abgewiesen, da nach pakistanischem Recht bereits eine Verjährung eingesetzt hatte. Selbst das Unternehmen KIK vertritt – wie auch andere deutsche Firmen – inzwischen die Position, dass es für alle einen verbindlichen gesetzlichen Standard geben muss.

Die Initiative fordert das Lieferkettengesetz, weil nur mit einem gesetzlichen Rahmen Voraussetzungen geschaffen werden können „für wirksamen Umweltschutz und die Achtung von Menschenrechten durch Unternehmen im Ausland.“

Die Initiatoren nennen in ihrem Aufruf fünf Punkte, die sie durch ein Gesetz abgedeckt sehen:
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Wer Schäden anrichtet muss Verantwortung übernehmen
=> Kein Vorteil für verantwortungs-lose Unternehmen
=> Verantwortung nicht auf Verbraucher abwälzen
=> Betroffene brauchen Zugang zu Gerichten in Deutschland
=> Freiwillig ändern Unternehmen zu wenig
Deshalb ist die Lösung ein Lieferkettengesetz, denn bisherige freiwillige Vereinbarungen stehen häufig nur auf dem Papier oder werden wie der „Grüne Knopf“ für die Textilhersteller von den Großen der Branche boykottiert. Inzwischen haben andere europäische Länder (Frankreich, Niederlande) entsprechende Gesetze verabschiedet.

Welche Aktionen sind in Hamm geplant?
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Wir werden uns bemühen, im Weltladen und bei unseren Veranstaltungen möglichst viele Bürgerinnen und Bürger von der Initiative zu überzeugen.
=> Am Weltladentag am 9. Mai werden wir auf dem Hammer Wochenmarkt mit Aktionen das Thema bewerben.
=> Wir werden unseren Bundestagsabgeordneten Michael Thews zu einem öffentlichen Gespräch einladen.
=> Eine Sitzung der Steuerungsgruppe Fair Trade Town wird sich mit dem Thema auseinandersetzen.
=> Im Rahmen der Ausstellung „Reise einer Jeans“ im Hammer Künstlerbund (HKB) am Maxipark wird es am 18. Juni eine Talkrunde zu dem Thema Lieferkettengesetz geben.
Wir würden es sehr begrüßen, wenn in Hamm weitere Verbände, Gruppen, Unternehmen mit uns zusammen diese Initiative unterstützen würden. Weitere Informationen und Materialien zum Lieferkettengesetz  bekommen oder Aktionen mit  seiner Unterschrift unterstützen möchte, kann dies bei FUgE-Veranstaltungen oder
unter https://lieferkettengesetz.de

Wie sieht das der Einzelhandel in Hamm?
Wir haben Anfragen an Herrn Matthias Grabitz, Sprecher der Hammer Einzelhändler, Dr. Karl Georg Steffens, Geschäftsführer der Wirtschaftsförderung, und an Thomas Schäfer, Hauptgeschäftsführer des Handelsverbands NRW Westfalen-Münsterland, versendet. Hier ihre Antworten:

„Das Lieferkettengesetz ist von der Idee sehr zu unterstützen, denn es sichert in den Herstellungsländern Mindeststandards, die es einzuhalten gilt. Diese Standards geben den Produzenten im untersten Preissegment die Sicherheit, sich nicht gegenüber der Konkurrenz auf Kosten der Gesundheit und Umwelt unterbieten zu müssen. Die Überwachung und Einhaltung ist kritisch zu betrachten, denn auch schon heute gibt es Mindeststandards, die in einigen Ländern unterlaufen werden. Der Verbraucher kann jedoch heute schon bei dem Einkauf darauf achten, was er kauft. Auf diese Weise löst der Verbraucher einen Nachfragedruck aus, dem die Produzenten nachkommen werden. Die Ökosiegel GOTS oder „Made in Green“ zum Beispiel geben dem Verbraucher Orientierung.“
Matthias Grabitz, Sprecher der Hammer Einzelhändler.

„Es ist ein begrüßenswertes Ziel, ausschließlich Produkte zu erwerben, die unter Beachtung von Menschenrechten und unter Vermeidung von überflüssiger Umweltzerstörung hergestellt werden. Wobei der Begriff der Herstellung auch die gesamte Lieferkette vom Rohstoff über die Halbzeuge bis zum Endprodukt umfasst. Wenn es also möglich ist, solche Schäden zu vermeiden, sollte dies auch geschehen. Allerdings ist dies nicht für alle derzeit hergestellten Waren möglich. So gibt es verschiedene seltene Rohstoffe, die nicht in Ländern abgebaut werden, in denen die Menschenrechte gemäß den Grundsätzen von UN und EU geachtet werden. Würden Unternehmen daher dazu verpflichtet, auch im Ausland Menschenrechte und Umweltstandards zu achten, könnte dies in einzelnen Branchen dazu führen, dass einige Unternehmen nicht mehr am Markt teilnehmen könnten. Dies würde zum Beispiel aktuell dazu führen, dass deutsche Unternehmen einen erheblichen Wettbewerbsnachteil bei der Herstellung von Akkumulatoren für die Elektromobilität hätten, da der Abbau von Coltan zurzeit im Wesentlichen in Ländern stattfindet, die erhebliche Menschenrechtsverletzungen verursachen. Ein Lieferkettengesetz müsste daher Ausnahmen zulassen, was allerdings den Sinn eines solchen Gesetzes konterkarieren würde. Aus diesem Grunde würde ich die Einführung von überprüfbaren, staatlich zertifizierten Gütesiegeln bevorzugen, mit denen dann in Branchen, die die oben beschriebenen Hindernisse nicht kennen, Unternehmen sich durch die Bekennung zu Menschenrechts- und Umweltzielen einen Wettbewerbsvorteil verschaffen könnten. Die staatliche Zertifizierung würde die von den Initiatoren der Gesetzesinitiative geforderte Verbindlichkeit gewährleisten.“
Dr. Karl Georg Steffens
, Geschäftsführer der Wirtschaftsförderung.

„Der deutsche Einzelhandel kennt seine Verantwortung für die kommenden Generationen und trägt u. a. mit der Klimaschutz offensive und dem Textilbündnis dazu bei, die Gestaltung von Lieferketten und die Umweltbilanz der Branche positiv zu gestalten.
Auch der Hammer Einzelhandel nimmt im Rahmen seiner Möglichkeiten seine Verantwortung innerhalb seiner Wertschöpfungs- und Lieferketten wahr, steht aber vor der nicht zu bewältigenden Herausforderung, den Anforderungen von Politik und Gesellschaft hinsichtlich Transparenz und Nachhaltigkeit gerecht werden zu können.
Die ökologischen und sozialen Aufgaben sind viel zu komplex, als dass sie ein einzelnes oder mehrere regional tätige Unternehmen allein lösen könnten. Es ist nicht Aufgabe eines regionalen Unternehmens, die Einhaltung nationaler Gesetze und internationaler Standards innerhalb einer globalen Liefer- und Wertschöpfungskette durchzusetzen. Wie sollte das auch praktisch umsetzbar sein? Deshalb sind wir für freiwillige Verpflichtungen auf Basis einer gemeinsamen Verantwortung, die allemal wirksamer sind als Vorschriften und staatliche Regulierung“.
Thomas Schäfer, Hauptgeschäftsführer, Handelsverband NRW Westfalen-Münsterland.