Gemeinwohlorientierung gewinnt an Bedeutung
Johannes Auge
FUgE-News Ausgabe 03/2020
Es ist ein ungleicher Wettbewerb: Auf der einen Seite ein regional verwurzelter Mittelständler, der aus Weizen Stärke herstellt, dabei immer auch die Menschen in seinem Umfeld im Blick behält und sich für den Klimaschutz engagiert. Auf der anderen Seite ein Global Player, der die gleichen Produkte erzeugt, dieses aber auf Kosten von Natur und Umwelt und unter Einsatz von Kinderarbeit tut. Der Endverbraucher hat keine Möglichkeit, die Spielregeln, mit denen die Produkte erzeugt werden, zu überprüfen. Und die Gesetze schaffen es offensichtlich nicht, für Chancengleichheit zu sorgen. Wäre es nicht richtiger, wenn derjenige, der sich gegenüber Mensch und Umwelt fair verhält, zumindest nicht benachteiligt würde? In dem innovativen Wirtschaftsmodell der Gemeinwohl-Ökonomie zählen Mensch und Umwelt mehr als Rendite und Reichtum des Einzelnen. „Damit wird der Wettbewerb nicht außer Kraft gesetzt, im Gegenteil: Unternehmen sollen im Wettbewerb zeigen, wie erfolgreiches Wirtschaften unter Berücksichtigung des Gemeinwohls funktionieren kann“, betont Christian Felber, der Erfinder der Gemeinwohlbilanz. Felber war am 19.10.2020 auf Einladung von FUgE zu Gast in Hamm. Dabei referierte er vor 60 interessierten Zuhörern im Heinrich-von-Kleist- Forum.
Aber was meint Gemeinwohl-Orientierung genau? Den Vertretern der Idee geht es nicht um eine radikale Abkehr vom kapitalistischen System, sondern um eine vernunftbasierte Verschiebung von Werten beim Wirtschaften. Nicht Gewinnmaximierung um jeden Preis sollte das Ziel sein, sondern ein Mehr an Menschenwürde, Solidarität und Gerechtigkeit, ökologische Nachhaltigkeit, Transparenz und Mitentscheidung. „Das ist eigentlich gar kein neuer Gedanke“, weist Felber in seinem Vortrag auf viele aktuelle und historische Beispiele hin. Und: „Es gibt nicht eine Verfassung auf der Welt, in der die Maximierung von Geld und Vermögen als Ziel genannt wird. Aber alle Regeln, die sich die Menschen bislang gegeben haben, verweisen mehr oder weniger auf das Gemeinwohl als Ziel des Wirtschaftens.“
In einer anschließenden Podiumsdiskussion wird deutlich, wie das GWÖ-Modell in der Praxis wirken kann. Mit Klaus Engemann vom BiolandHof Engemann aus Willebadessen (Kreis Höxter) und Stefanie Nagel von der Vollkornbäckerei Cibaria aus Münster berichten zwei Gäste von ihren Erfahrungen bei der Erstellung einer Gemeinwohlbilanz. Sie nennen dabei wesentliche Vorteile der Gemeinwohlbilanzierung im Betrieb: Mehr Systematik, motivierte Mitarbeiter, bessere Lösungen. „Auch in unseren Kundenbeziehungen merken wir, dass sich Transparenz und Zusammenarbeit lohnen“, sieht Klaus Engemann direkte wirtschaftliche Vorteile. Und Stefanie Nagel ergänzt: „Der Gemeinwohl- Ansatz hat das Potenzial, viele Menschen zu erreichen und zum Mitmachen zu bewegen.“
Michael Andreae Jäckering, Geschäftsführer der Jäckering Mühlen- und Nährmittelwerke am Hammer Hafen, sieht allerdings noch Probleme bei der praktischen Umsetzung. Er würde es natürlich begrüßen, wenn das soziale und ökologische Engagement mittelständischer Unternehmer in den Wettbewerb einbezogen würde. Aber: „Wer bestimmt denn, was genau dem Gemeinwohl dient?“ Auch Christian Felber gibt zu: „Natürlich sind noch nicht alle Fragen geklärt.“ Er vertraut aber darauf, dass die Menschen in der Lage sind, diese Fragen in einem gesellschaftlichen Diskurs zu klären. „Der Kreis der Menschen, die sich an dieser Diskussion beteiligen, wächst täglich“, verweist er auf die Dynamik der aktuellen Entwicklung.
Die Hammer Wirtschaftsförderung, die die Veranstaltung unterstützt hat, sieht in dem Thema Chancen für die Unternehmen. Geschäftsführer Prof. Dr. Karl- Georg Steffens weist darauf hin, dass es bereits erste Ansatzpunkte dafür gibt: „Die Verknüpfung der Vergabe von Grundstücken an Unternehmen mit der Bedingung, sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze zu schaffen, macht ja deutlich, was eine Stadt wie Hamm für die Förderung des Gemeinwohls tun kann“. In der anschließenden Diskussion wurden weitere Möglichkeiten deutlich, z. B. die Ausrichtung der öffentlichen Beschaffung auf das Gemeinwohl.
Johannes Auge, Geschäftsführer des B.A.U.M.-Büros in Hamm, der als Moderator durch den Abend führt, verdeutlicht die Aktualität und Dringlichkeit des Handelns: „Ob Corona-Pandemie, Klimaschutz oder Biodiversitätsverlust: Jeder einzelne ist gefordert, zur Lösung beizutragen. Das wird nur in gemeinsamen Kraftanstrengungen von Wissenschaft, Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft funktionieren.“
In einem sind sich am Ende alle einig: Wirtschaften ohne Nachhaltigkeit kann auf Dauer nicht erfolgreich sein. Und die Gemeinwohl – Ökonomie gibt dem nachhaltigen Wirtschaften ein Ziel, das verfolgt werden sollte. „Mit dem Aufbau einer GWÖ-Regionalgruppe könnte Hamm dem Beispiel anderer Städte in NRW folgen, um das Gemeinwohl in Hamm dauerhaft zu stärken.“ Vielleicht passt ja auch diese Initiative zum Aufbruch, den sich die Hammer im September mit der Wahl von Marc Herter zum Oberbürgermeister versprechen?
Aufgrund der strikten Corona-Regeln in Hamm konnten nicht alle Interessenten, die den Vortrag von Christian Felber live miterleben wollten, dabei sein. FUgE hat die Veranstaltung deshalb aufgenommen, der Mitschnitt steht auf der Homepage von FUgE (www.fuge-hamm.org/2020/04/19/die-gemeinwohl-oekonomie-vortrag-mitchristian-felber) bereit.
Wir danken der Volksbank Hamm, der Wirtschaftsförderungsgesellschaft Hamm, der VHS und Engagement Global für Ihre Unterstützung dieser Veranstaltung.
Menschen, die sich im Sinne des Gemeinwohls in einer Arbeitsgemeinschaft engagieren möchten, können sich bei FUgE unter fuge@fuge-hamm.de melden.