Warum wir auch weiterhin ein Lieferkettengesetz brauchen
Claudia Kasten
Die Corona-Krise führt uns vor Augen, in welchem Maße Transparenz und Sorgfalt in globalen Lieferketten in unser aller Interesse liegen. Warum dies so ist, stellt die Initiative Lieferkettengesetz vor.
Die Corona-Krise dominiert derzeit alles. Themen wie Klimaschutz, aber auch der verantwortungsvolle Umgang entlang der gesamten Lieferkette, finden in den Medien kaum noch ihren Platz. Angesichts der Nöte vieler Menschen hier bei uns in Deutschland – ist da ein Lieferkettengesetz wirklich nötig? Wir sind der Meinung: Ja, jetzt erst recht. Denn die Corona-Krise führt uns auf dramatische Weise vor Augen, in welchem Maße Transparenz und Sorgfalt in globalen Lieferketten in unser aller Interesse liegen. Warum dies so ist, stellt die Initiative Lieferkettengesetz vor.
Die neue Situation bietet auch eine Chance
Die Krise wird Unternehmen weltweit dazu zwingen, bessere Systeme zum Risikomanagement aufzubauen, die auch in Krisenzeiten Lieferengpässe verhindern. Diese neuen Management-Systeme dürfen sich nicht nur auf Geschäftsrisiken beschränken, sondern müssen auch Menschenrechte und Umweltschutz in den Blick nehmen. Die Politik sollte diese Chance nutzen und Klarheit für Unternehmen über diese Anforderung schaffen.
Ein Lieferkettengesetz ist machbar
Auch wenn die großen Wirtschaftsverbände immer wieder das Gegenteil behaupten: Ein Lieferkettengesetz ist machbar. Das zeigen die Unternehmen, die bereits jetzt menschenrechtliche Risikoanalysen durchführen und Maßnahmen für Menschenrechte und Umweltschutz ergreifen. Natürlich braucht es dafür finanzielle und personelle Ressourcen – wie für andere Prozessoptimierungen auch. Doch wenn alle Unternehmen diese Ressourcen gleichermaßen einsetzen müssen, hat kein Unternehmen einen Nachteil.
Aus diesem Grund befürworten inzwischen auch viele Unternehmen einen gesetzlichen Rahmen. Ein Lieferkettengesetz wird helfen, Transparenz in und Risikobewusstsein für Lieferketten insgesamt zu verbessern. Außerdem: Selbst bei zügiger Umsetzung träte ein Lieferkettengesetz frühestens Mitte 2021 in Kraft. Zeit genug, um sich darauf einzustellen.
Produzent*innen im Globalen Süden besonders gefährdet
Gerade in Zeiten von Corona ist es wichtig, Menschenrechte entlang der Lieferketten in den Fokus zu nehmen. Denn gerade in den ersten Stufen vieler Lieferketten sind die Menschen aufgrund von fehlender Absicherung besonders gefährdet. Schon jetzt gibt es Berichte aus asiatischen Ländern über fehlende Lohnfortzahlungen oder Einschränkungen von Gewerkschaften.
Ein Lieferkettengesetz würde dazu beitragen, derartige Effekte zu verhindern. Zudem ist es durchaus möglich, dass sich das Virus in weiteren Ländern des Globalen Südens ausbreitet. Gerade hier sind jetzt präventive Maßnahmen von Unternehmen essentiell – auch hierzu würde ein Lieferkettengesetz beitragen.
Menschenrechte müssen jederzeit geschützt werden
Klar ist: Menschenrechte dürfen nicht nur in guten Zeiten gelten. Sie sind nicht verhandelbar, sondern international vereinbarte Grundrechte, die eingehalten werden müssen – auch in wirtschaftlich schwierigen Zeiten.
Das Coronavirus darf nicht als Vorwand gegen ein Lieferkettengesetz herhalten. Wir befinden uns mit Corona in einer ernsten Krise. Es ist geschmacklos, diese Krise zu instrumentalisieren: Das wird weder der Corona-Krise gerecht, noch dem komplexen Thema von menschenrechtlicher Sorgfalt in Lieferketten.
„Eine Regulierung ohne Sanktionen ist keine Regulierung“: EU Kommissar Reynders kündigt Entwurf für EU Lieferkettengesetz an
Am 29.04.2020 kündigte EU-Justizkommissar Didier Reynders an, 2021 einen Gesetzesentwurf für ein europäisches Lieferkettengesetz vorlegen zu wollen. Hierzu ein Kommentar von Johanna Kusch, Sprecherin der „Initiative Lieferkettengesetz“:
„Die Ankündigung ist ein starkes Zeichen, dass verbindliche Regeln, die Unternehmen zur Achtung von Menschenrechten und Umweltstandards verpflichten, das Gebot der Stunde sind. Gerade die Corona-Krise führt uns die Notwendigkeit vor Augen, Lieferbeziehungen, verantwortungsbewusst und resilient zu gestalteten. Die Bundesregierung muss jetzt mit einem eigenen Beschluss für ein deutsches Lieferkettengesetz Farbe bekennen und im Rahmen der EU-Ratspräsidentschaft den Prozess zu einer europaweiten Regelung voranbringen.“‘
Hintergrund:
In einem Online-Seminar des Europäischen Parlaments hatte EUJustizkommissar Didier Reynders am 29.04.2020 eine neue Studie der EU-Kommission vorgestellt, die die Notwendigkeit verbindlicher Regeln für Unternehmen unterstreicht. In diesem Zusammenhang kündigte Reynders für 2021 einen Gesetzesentwurf für ein Lieferkettengesetz auf europäischer Ebene an. Dieses solle Unternehmen zur Achtung von Menschenrechten und Umweltstandards in ihren Wertschöpfungsketten verpflichten und öffentlich-rechtliche Sanktionen ebenso wie Klagemöglichkeiten für Betroffene vorsehen. „Eine Regulierung ohne Sanktionen ist keine Regulierung“, so Reynders. Das Gesetz müsse Teil des Green Deal der Europäischen Union und leitend für den Wiederaufbau der Wirtschaft nach der Corona-Krise sein. Seitens der Bundesregierung sicherten in der Online-Konferenz Vertreter*innen des Entwicklungs- und Arbeitsministeriums ihre Unterstützung für den Prozess zu. Mit einem ambitionierten Lieferkettengesetz in Deutschland, über das laut Koalitionsvertrag in diesem Jahr entschieden werden soll, würde die Bundesregierung die Debatte um Standards auf europäischer Ebene entscheidend prägen und die Basis für eine Vorreiterrolle hiesiger Unternehmen bereiten.
Mit der freundlichen Unterstützung des Promotor*innen-Programms für Eine Welt NRW.