Die Bioökonomie: große Versprechen und fragwürdige Wege
Thomas Fatheuer
FUgE-News Ausgabe 03/2020
Zweifelsohne – Bioökonomie, das klingt erst mal gut. Bio – das erinnert an Bio-Lebensmittel, die gut und gesund sein sollen. Aber der Begriff bleibt schwammig, wird unterschiedlich definiert und hat es nicht so richtig in die Alltagssprache geschafft. Immerhin, seit Anfang 2020 haben wir in Deutschland eine Bioökonomiestrategie. Die definiert auch, was nun unter Bioökonomie verstanden werden soll: In der Definition der Bundesregierung umfasst die Bioökonomie die Erzeugung, Erschließung und Nutzung biologischer Ressourcen, Prozesse und Systeme, um Produkte, Verfahren und Dienstleistungen in allen wirtschaftlichen Sektoren im Rahmen eines zukunftsfähigen Wirtschaftssystems bereitzustellen. Bioökonomische Innovationen vereinen biologisches Wissen mit technologischen Lösungen und nutzen die natürlichen Eigenschaften biogener Rohstoffe hinsichtlich ihrer Kreislauffähigkeit, Erneuerbarkeit und Anpassungsfähigkeit. Die Bioökonomie birgt das Potenzial, neuartige Produkte und Verfahren hervorzubringen, um Ressourcen zu schonen und Wohlstand zu schaffen, heißt es da.
Alles klar? Wohl kaum. Da wird mit einer Vielzahl an Begriffen herumhantiert, so dass man eher ratlos bleibt. Aber es geht anscheinend um Innovation, biogene Rohstoffe und die Nutzung biologischer Ressourcen. Und immerhin formuliert die Bundesregierung deutlich, dass es Aufgabe der Bioökonomie sei, „Lösungen zur Bewältigung der großen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts zu liefern.“ Damit ist die Latte sehr hoch gehängt. Unter diesen „Grundfragen der Welt von Morgen“ ragen zwei hervor: die Bewältigung der Klimakrise und Sicherung der Ernährung für eine wachsende Weltbevölkerung.
Zweifelsohne ist der Aufstieg der Bioökonomie mit der Klimakrise verbunden. Wenn man sie nicht leugnen will, dann bedeutet sie, dass das fossile Zeitalter zu Ende geht. Öl, Kohle und letztlich auch Gas sind Auslaufmodelle, sie müssen ersetzt werden. Genau da beginnt ein Kerngeschäft der Bioökonomie: Aus Pflanzen erzeugter Biosprit soll Benzin und Diesel ersetzen und auch Plastik aus Pflanzen (in der Sprache der Bioökonomie: biogene Rohstoffe) findet sich zunehmend in Getränkeflaschen. Dabei zeigt sich gleich auch ein grundlegendes Dilemma der Bioökonomie. Denn diese „nachwachsenden Rohstoffe“ gedeihen nicht irgendwo zum Wohle des Menschen, sondern werden auf riesigen Flächen angebaut. Zucker und Mais sind die wichtigsten Rohstoffe der Bioökonomie, insbesondere in Brasilien hat sich der Anbau von Zuckerrohr für den Ethanol massiv ausgedehnt, verdrängt den Anbau von Lebensmitteln und zerstört natürliche Ökosysteme.
Ein weiteres Beispiel für die Ersetzung von fossilen Rohstoffen ist das Verbrennen von Holz, das als „klimaneutral“ gilt. Angeblich wird nur so viel CO2 dabei freigesetzt, wie beim Wachsen der Bäume aus der Atmosphäre gebunden ist. Wissenschaftler werten dies als „grobe Fehlinterpretation“. Beim Verbrennen wird CO2 in Sekunden freigesetzt, braucht aber Jahrzehnte, um wieder abgebaut zu werden. Und der Verlust von Biodiversität und anderen Waldfunktionen spielt in dieser Konstruktion von Klimaneutralität keine Rolle. Die EU ist dabei zu einem Importeur von Holzpellets geworden. Die Ersetzung von Kohle durch Holz erhöht den Druck auf Wälder und ist eine Gefahr für die Biodiversität. Bioökonomie bedeutet eine gewaltige Mobilisierung zur Nutzung von Biomasse, vor allem für die energetische Nutzung. Das hat aber auch eine globale Dimension. Schon heute ist der globale Süden ein wichtiger Lieferant für Biomasse. Palmöl aus Indonesien landet als „Biodiesel“ in europäischen Tanks, Zuckerrohr aus Brasilien ist der Rohstoff für die „Plant Bottle“ von Coca-Cola. Diese Beispiele zeigen auch, warum die Bioökonomie höchst umstritten ist: die Ersetzung von fossilen Rohstoffen durch Nachwachsende, ist nicht per se nachhaltig. Und sie kann Rohstoffe nur in begrenzten Maßen produzieren, wenn weltweit nicht enorme Flächen dafür geopfert werden sollen. Und sie verschärft den Druck auf Wälder und andere Ökosysteme. Die Bioökonomiestrategie definiert weder, was mit Nachhaltigkeit gemeint ist, noch diskutiert sie die Illusion grenzenlosen Wachstums.
Und wie soll nun die Bioökonomie zur Lösung der zweiten großen Herausforderung der Menschheit beitragen, der Sicherung der Ernährung? Hier wird nun deutlich, warum die Bundesregierung Bioökonomie als Hightech Strategie definiert: Landwirtschaft zur „Erzeugung biogener Produkte“, bei der es eventuell notwendig sei, „Produktionsorganismen, also insbesondere Nutzpflanzen, aber zum Beispiel auch Insekten, Algen, Pilze oder Mikroorganismen, gezielt an die jeweiligen Umwelt-, Klima- und Produktionsbedingungen anzupassen. Dabei soll die Forschung methoden- und technologieoffen sein und in geschlossenen Systemen auch moderne molekularbiologische Ansätze miteinbeziehen.“
Pflanzen und Tiere werden zu Produktionsmechanismen, die es gilt, gezielt an die Umweltbedingungen anzupassen – und damit der unbeholfenen Natur auf die Sprünge zu helfen? Natur soll also nach den Anforderungen der Industrie umgestaltet werden. Politisch brisant aber ist, dass hier ein klares Bekenntnis zur Gentechnologie enthalten ist – ohne diesen Begriff zu nennen. Bioökonomie will also einerseits fossile Ressourcen ersetzten und andererseits natürliche Ressourcen optimal nutzen und diese Nutzung durch neue Verfahren ausbauen. „Effiziente Nutzung der Rohstoffe“, „Nachhaltige Steigerung der Produktivität“, „Reduzierung der Inanspruchnahme nicht-regenerativer Rohstoffe“ lauten die Schlagwörter. Das hat Konsequenzen: die Reduzierung des Fleischkonsums (oder der des Flugverkehrs) ist anscheinend keine Bioökonomie, die Steigerung der Produktivität der Tierzucht schon.
Damit wird das weite Feld der Nachhaltigkeit sehr einseitig ausgestrahlt, während andere Bereiche im Dunkeln verharren. Die Frage, welche Grenzen Wachstum angesichts begrenzter Ressourcen und Belastbarkeiten von Naturräumen haben muss, wird nicht systematisch aufgegriffen, ebenso wenig wie die Konzentration von Reichtum. Es ist aber nicht das „wir“ der Menschheit, das natürliche Ressourcen verbraucht. Die Nutzung von Ressourcen vollzieht sich in Strukturen, die von extremen Ungleichheiten geprägt sind. Wachstum und Ungleichheit sind die großen Elefanten, die nicht in den Rahmen der Bioökonomie passen.
Die Orientierung auf Technologie, Wachstum und Innovation ist in der DNA der Bioökonomie festgeschrieben. Bioökonomie ist geprägt durch den Glauben an Fortschritt und technische Machbarkeit. Bioökonomie will und soll technologische Antworten auf grundlegende Herausforderungen (Klimawandel, Ernährungssicherheit, Ressourcenverknappung) geben. Eine solche Priorisierung ist aber auch das Problem der Bioökonomie. Sie verlagert die Frage der Nachhaltigkeit in die „Form des Produzierens“ und blendet somit die sozio-ökologischen Grundlagen der Produktion weitgehend aus.
Unter dem Begriff Bioökonomie firmieren auch Entwicklungen von Gentechnologie, die von der Mehrheit der Gesellschaft in der Landwirtschaft abgelehnt werden. Dabei suggeriert allein der Begriff „Bioökonomie“ etwas Positives und erinnert an die Biolebensmittel im Supermarkt. Aber Bioökonomie ist nicht die Bioecke der Ökonomie. Bioökonomie priorisiert Antworten, die durch Technologie und Innovationen die Optimierung natürlicher Ressourcen leisten sollen. Aber sie thematisiert keine Machtstrukturen.
Die Debatte um Bioökonomie wird durch deren umfassende Ansprüche bei gleichzeitiger Unschärfe der Definition und damit des Handlungsfeldes erschwert. Es gibt sie nicht, die Bioökonomie. Auch positive Ansätze wie ein verbessertes Recycling oder ökologische Landwirtschaft können als Bioökonomie gelten. Eine kritische Auseinandersetzung mit der Bioökonomie muss eben deutlich machen, welche Bioökonomie gemeint ist. Gleichzeitig können sinnvolle Ansätze, die unter der Überschrift Bioökonomie firmieren, nicht dazu dienen, das Konzept insgesamt zu legitimieren.