01.07.2023: Kann Wasserstoff uns vor den Klimakollaps retten?

von Claudia Kasten
Die Kehrseite unseres Energiehungers von Hartmut Gliemann
Postkoloniale Ausbeutung durch Wasserstoff-Kooperation von Horst Blume
In: FUgE-News Ausgabe 01/2023

Kann Wasserstoff uns vor den Klimakollaps retten?
Von Claudia Kastenwasserstoff-als-rettung-02
Anfang Februar hielt Prof. Dr. Goebel von der Hochschule Hamm-Lippstadt (HSHL) im Rahmen der Nachhaltigkeitsmesse einen Vortrag zum Thema „Wasserstoff in der zukünftigen Energiewirtschaft“. Dieser Artikel ist der Versuch einer kurzen Zusammenfassung seiner Ausführungen, die sowohl die technische Seite als auch Kosten und Nutzen aufzeigte. Auch wenn Goebel ein Befürworter der Technologie ist, zeigte er auch auf, das Wasserstoff nicht der alleinige Heilsbringer ist.
Dass die Diskussion über die Rolle von Wasserstoff in der zukünftigen Energiewirtschaft teilweise recht kontrovers geführt wird, zeigen die nachfolgenden Artikel von Hartmut Gliemann und Horst Blume. Für Gliemann liegt die Problematik des Klimaschutzes ohnehin nicht in der Technologie, sondern in etwas, das den meisten Menschen kaum schmecken dürfte: einer Verhaltensänderung, und Horst Blume legt dar, wie wir gerade auf dem Weg sind, Fehler der Vergangenheit im Sinne einer globalen Ungleichheit und Ausbeutung von natürlichen Ressourcen zu wiederholen. Doch bevor Gliemann und Blume ihre Sicht auf die neue Technologie darstellen, ein paar Fakten zum Wasserstoff.

Wasserstoff
Wasserstoff (H2) muss fast immer erzeugt werden, denn er kommt nur selten in freier Form in der Natur vor. Dies kann auf unterschiedlichen Wegen passieren. Entweder aus (fossilen) Kohlenwasserstoffen (Gas, Öl, Kohle), dies macht bei uns rund 97 % aus, oder durch Elektrolyse (3 %). Dabei wird in Deutschland schon lange Wasserstoff hergestellt und genutzt. Derzeit liegt der Verbrauch bei 57 TWh, also rund 19 Mrd. m3. Zum Vergleich: Der Stromverbrauch in Deutschland liegt bei ca. 600 TWh/a und der Gasverbrauch bei ca. 900 TWh/a. Der Vorteil von Wasserstoff gegenüber Öl liegt dabei in einem rund drei Mal höheren Heizwert.
Wasserstoff ist nicht gleich Wasserstoff
Wenn wir über Wasserstoff sprechen, klingt es häufig nach der Kunst der Farbenlehre. Hier eine kleine Aufklärung:
=> Grün: Elektrolyse mit Strom aus Erneuerbaren Energien (das Ziel)
=> Grau: H2-Produktion aus fossilen Brennstoffen, CO2 in die Atmosphäre (heute)
=> Blau: H2-Produktion aus fossilen Brennstoffen, CO2 abgeschieden und gespeichert oder genutzt
=> Türkis: H2 aus Methan, Prozess – wärme aus Erneuerbaren Ener – gien, Nebenprodukt: Kohle, fest (dieser Prozess ist nicht der effizienteste, aber er kann Kohlenstoff aus der Luft holen!)
=> Rot: Elektrolyse mit Strom aus Atomkraft
=> Weiß: H2 ist Nebenprodukt eines Prozesses, der anderen Zwecken dient, z. B. Verkokung von Steinkohle

Nutzung von Wasserstoff
Bisher wird Wasserstoff vor allem in Raffinerien sowie bei der Düngemittel- und Ammoniakherstellung genutzt. Dies soll sich zukünftig ändern. Geplant ist die Verwendung zur Stahl- und Zementherstellung sowie als saisonale Stromspeicherung und als Treibstoff für Fahrzeuge.

Wasserstoff als Energiespeicher
Es ist erstrebenswert, dass möglichst viel Strom direkt verbraucht wird und nicht gespeichert werden muss. Regenerative Energien sind jedoch nicht auf den Bedarf abgestimmt, sondern wetterabhängig. Daher muss kurz und langfristig Strom zwischengespeichert werden. Goebel führt auf, dass er kurzfristig vor allem in Batterien, also elektrochemisch, gespeichert werden sollte, da dies einen hohen Speicherwirkungsgrad habe. „Erst wenn alle Verbraucher bedient, und alle Batteriespeicher voll sind, dann sollte die Speicherung als Wasserstoff erfolgen“. Die Batterien der zukünftigen E-Autos können unter der Voraussetzung eines bi-direktionalem Ladens, einen großen Anteil an der Stromspeicherung übernehmen. Leider verlieren sich die Vorteile der Batterie bei einer saisonalen und damit längerfristigen Speicherung. Saisonal bedeutet dabei, dass der aus regenerativer Energie (Sonne) gewonnene Strom, der über den zeitnahen Bedarf z. B. im Sommer produziert wird, gespeichert wird, um ihn dann in der eher sonnenarmen Wintersaison zu nutzen. Bei diesen großen Energiemengen für einen längeren Zeitraum ist Wasserstoff besser geeignet als Batterien. Dies hängt mit verschiedenen Faktoren zusammen.
Um die Speicherkapazität einer Batterie zu verdoppeln, benötigt man eine zweite Batterie oder eine doppelt so große Batterie. Damit steigen die Kosten. Ein Beispiel: ein Batteriestromspeicher für einen Monat kostet ca. 30 mal so viel wie ein Batteriestromspeicher für einen Tag. Bei der Speicherung von Wasserstoff muss lediglich der Tank (oder Raum) für den Wasserstoff vergrößert werden. Dies ist deutlich kostengünstiger. Gleichzeitig kommen als Speicherraum für große Mengen Wasserstoff nur untertägige Hohlräume in Frage. Hier liegen bereits Erfahrungen durch die Speicherung von Erdgas vor. Bei Verzicht auf der Speicherung von Erdgas könnten diese Speicher genutzt werden. Hier könnten rund 5 % des zukünftig angepeilten Primärenergieverbrauches von 1800 TWh/a eingelagert werden. Bei einen nicht zu PV-lastigen Verhältnis bei der Stromproduktion kommt das schon sehr nah an den benötigten saisonalen Energiespeicherbedarf heran.

Wasserverbrauch
An dieser Stelle wird es physikalisch. So lässt sich der theoretische Wasserbedarf für die H2-Herstellung durch Elektrolyse leicht berechnen. Bei der notwendigen Vollentsalzung gehen ca. 10 % des Wassers für den Prozess verloren. Viele Studien sehen am Ende der Energiewende einen Wasserstoffbedarf von 330 TWh/a in Deutschland. Das sind 10 Mio. Tonnen pro Jahr. Dies bedeutet, dass man rund 100 Mio. Tonnen Wasser pro Jahr benötigt. Zur besseren Vorstellung: Man benötigt die Menge an Wasser, die der Rhein in weniger als 14 Stunden mitführt, um den ganzen zukünftigen Jahres-Wasserstoffbedarf von Deutschland zu decken (0,13 % des Rheinwassers). Damit ist der Wasserverbrauch als unkritisch anzusehen.
An dieser Stelle wird es physikalisch. So lässt sich der theoretische Wasserbedarf für die H2-Herstellung durch Elektrolyse leicht berechnen. Bei der notwendigen Vollentsalzung gehen ca. 10 % des Wassers für den Prozess verloren. Viele Studien sehen am Ende der Energiewende einen Wasserstoffbedarf von 330 TWh/a in Deutschland. Das sind 10 Mio. Tonnen pro Jahr. Dies bedeutet, dass man rund 100 Mio. Tonnen Wasser pro Jahr benötigt. Zur besseren Vorstellung: Man benötigt die Menge an Wasser, die der Rhein in weniger als 14 Stunden mitführt, um den ganzen zukünftigen Jahres-Wasserstoffbedarf von Deutschland zu decken (0,13 % des Rheinwassers). Damit ist der Wasserverbrauch als unkritisch anzusehen.

Transport von Wasserstoff
An dieser Stelle kommt es zu den größten Energieverlusten und damit zu jenen Punkten, die oftmals von Kritikern hervorgehoben werden, da an dieser Stelle die Effizienz verloren geht.
Grundsätzlich kann der Wasserstoff entweder mit Pipelines gasförmig transportiert werden, dies bedeutet jedoch hohe Investitionsmaßnahmen. Beim Transport mit Fahrzeugen, ist eine gasförmige oder flüssige Form möglich. Wegen seiner geringen Dichte muss der Wasserstoff vor dem Transport entweder verdichtet oder verflüssigt werden. In erstem Fall wird damit etwa 10 % der enthaltenen Energie verbraucht, im zweiten Fall sogar 30%.

Fazit von Prof. Goebel
Wenn eine Industrie ganz ohne fossile Energien auskommen soll, dann benötigt sie Wasserstoff aus folgenden Gründen:
Beim weiteren Ausbau von Wind und PV wird es zu Stromüberschüssen kommen. Diese müssen genutzt werden, indem man sie speichert, damit sie an Tagen mit Stromknappheit (Dunkelflaute) zur Verfügung stehen. Das geht nur mit Wasserstoff.
Mit folgendem Tool kann die Integration von V2G in das Energiesystem der Zukunft simuliert werden: https://v2g.lade.de

Die Kehrseite unseres Energiehungers
Von Hartmut Gliemann
Mit den E-Autos und dem Wasserstoff werden wir der Klimakatastrophe Herr werden, so die Politik. „Bei Risiken und Nebenwirkungen fragen sie ….“ Gute Idee.
Zur Herstellung von grünem Wasserstoff brauchen wir „ein paar“ Windkraft- und PV-Anlagen. In Brandenburg steht eine Pilotanlage, die nur von der Energie dreier Windkraftanlagen betrieben wird. Nur eine Pilotanlage wohlgemerkt.1 Aktuell wird ca. 5% des Endenergiebedarfs unseres Landes von der Windkraft gedeckt. Gedacht ist daher auch an Strom aus offshore-Windparks, die allerdings nachhaltig das Ökosystem der Nordsee beeinflussen.
Dass für Windkraftanlagen seltene Erden gebraucht werden, schafft Abhängigkeiten von China, wo die größten Vorkommen lagern. Für die Stromleitungen brauchen wir Kupfer, dessen Abbau als besonders dreckig, giftig und gefährlich gilt.

Stromfresser Digitalisierung
Nach einer Studie aus 2014 machte das Internet schon 2012 4,6 Prozent des weltweiten Stromverbrauchs aus. Das Internet und all seine damit verbundenen Geräte verbrauchen fast so viel wie Kanada und Deutschland zusammen. 2 Dass für die Produktion der Bitcoins annähernd so viel Strom verbraucht wird wie in ganz Dänemark, lassen wir einmal beiseite.
In unseren Haushalten nimmt die Zahl der elektrisch betriebenen Geräte ständig zu und es wird massiv Werbung gemacht für die neuen Varianten gegenüber den alten Geräten mit der Folge von ca. 1 Mio. Tonnen Elektroschrott pro Jahr. Und was geschieht eigentlich mit den alten (E-Auto) Batterien? Sowohl das Recyceln als auch das Schreddern kosten wieder viel Energie.
Bisher hat kein Politiker gesagt, wieviel grünen Strom, d. h. Windkraftanlagen und Photovoltaik wir brauchen werden, um diesen Bedarf zu decken. Reden wir also lieber vom „goldenen Honigtopf“ und schweigen wie früher bei fossilen Brennstoffen oder der Atomenergie von Risiken und Nebenwirkungen?
=> 1 Ulrike Herrmann – Das Ende des Kapitalismus https://www.youtube.com/watch?v=1rYKIoG5mAs
=> 2 https://www.quarks.de/technik/energie/so-viel-energieverbraucht-das-internet

Postkoloniale Ausbeutung durch Wasserstoff-Kooperation
Von Horst Blumewasserstoff-als-rettung-01

Der in der Öffentlichkeit oft vielgelobte „Grüne“ Wasserstoff ist als Energieträger durchaus problematisch, weil bei seiner Umwandlung zwischen 20 und 40 Prozent Verlust zu verzeichnen sind. Bei Verarbeitung und Transport kämen zwischen 15 und 25 Prozent Energieverlust hinzu. =>1
Zusätzlich ist Grüner Wasserstoff kritisch zu sehen, weil er in Deutschland nicht in ausreichendem Maß produziert werden kann, sodass er in großen Mengen aus dem globalen Süden importiert werden muss. Der Energie- und Rohstoffverbrauch müsste jedoch stark gedrosselt werden, um die anvisierten Klimaziele zu erreichen und einen Teil der kommenden Katastrophen, Kipppunkte und Zusammenbrüche zeitlich aufzuschieben oder zumindest abzumildern. =>2
Allerdings deuten alle Anzeichen darauf hin, dass der Energieund Rohstoffverbrauch sowie der Konsum von Waren und die Fixierung auf den Autoverkehr sehr hoch bleiben werden. Im Grunde soll nach diesem Modell mit mehr eingesetzter Alternativenergie so weitergewirtschaftet werden wie vorher. Lediglich die Art der Energiegewinnung würde dann bei dieser „imperialen Lebensweise“ ausgetauscht werden. =>3
Mit den in Angriff genommenen Wasserstoffabkommen werden jahrhundertealte ungerechte Macht- und Ausbeutungsverhältnisse zwischen den Kolonialmächten und Kolonien fortgeschrieben. Jetzt sollen ausgerechnet die Leidtragenden dieser Entwicklung im globalen Süden den Verursachern der Klimakatastrophe aus dem globalen Norden durch Produktion und Lieferung von Grünem Wasserstoff aus der Patsche helfen, um ihnen bei den zukünftigen Katastrophen trotzdem noch einen komfortablen Lebensstandard zu sichern.
Unter dem Label „H2Atlas-Africa Projekt“ hat das Bundesminis – terium für Forschung und Bildung (BMBF) die Wasserstoff-„Kooperation“ mit dem südlichen Afrika (16 Mitgliedsstaaten, SADC) und Westafrika (15 Mitgliedsstaaten, ECOWAS) bereits eingestielt. Die zukünftige Entwicklung wird vom Ministerium als Win-win-Situation für beide Seiten dargestellt. Sozioökonomisches Wohlergehen, Schaffung von Arbeitsplätzen und Verringerung der Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen werden vollmundig versprochen.
Doch zu fragen ist, wie diese Zusammenarbeit in Zukunft konkret aussehen wird, wer das Geld und das Sagen hat, die Ziele bestimmt und entscheidet, welche betroffenen Gruppen vor Ort einbezogen werden.
Das gesamte Wasserstoff-Projekt wird geleitet und koordiniert von dem Forschungszentrum Jülich, das in den letzten Jahrzehnten schon oft bewiesen hat, dass es in engster Zusammenarbeit mit Energiekonzernen und diktatorischen Staaten für die Förderung und Entwicklung großtechnologischer und menschenfeindlicher Projekte (z. B. Atomkraftwerke) steht, die von Oben geplant und durchgesetzt werden. Dem FZ Jülich wird also die Vorentscheidung für die „Eignung von Landflächen für erneuerbare Energien und Wasserstoffinfrastruktur“ sowie die Beurteilung des „soziopolitischen Kontextes und der Entwicklungsmöglichkeiten“ überlassen. Die zurzeit existierende nachhaltige Landbewirtschaftung durch Kleinbauern wird durch Landraub und Vertreibung zerstört, wie zahlreiche Beispiele aus den letzten Jahren zeigen.
Das FZ Jülich hat 2021 mitgeteilt, dass sich nach ihren Erkenntnissen in der westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft (ECOWAS) 33 Prozent der Landfläche für Photovoltaikanlagen und 76 Prozent für Onshore-Windkraftanlagen eignen würden. =>4
Die horrenden Dimensionen der geplanten Enteignungen werden hier sehr deutlich. In der europäischen Öffentlichkeit wird nur zu gerne der falsche Eindruck erweckt, dass im nördlichen und westlichen Afrika hauptsächlich große dünn besiedelte und ungenutzte Wüsten vorhanden wären, die problemlos großflächig mit Solaranlagenbestückt werden könnten.
Die europäischen Regierungen und Konzerne beschwören den angeblich gemeinsamen Kampf gegen den Klimawandel, um daraus gemeinsame Interessen zwischen ungleichen Vertragspartnern zu konstruieren. Der algerische Journalist Hamza Hamouchene sagt dazu: „Die oberflächlich guten Absichten, die diesen Großprojekten zur Förderung erneuerbarer Energien vorangestellt werden, beschönigen letztlich nur die brutalen Formen von Ausbeutung und Raub, mit denen sie vorangetrieben werden. Wir haben es hier mit einem altbekannten kolonialen Schema zu tun: Billige Ressourcen (einschließlich grüner Energie) fließen ungehindert aus dem globalen Süden in den reichen Norden, während die Festung Europa Mauern und Zäune hochzieht, die Menschen davon abhalten sollen, ihre Küsten zu erreichen“. =>5
Dieses Vorgehen beschränkt sich nicht nur auf Afrika, sondern findet auch in Südamerika statt. In Chile fördert die Bundesregierung mit Millionen Euro eine E-Fuel-Anlage,mit der Siemens und Porsche Energie für „Motorsport“ produzieren wollen! In Brasilien sollen „Windkorridore“ für Windkraftanlagen im abzuholzenden Amazonaserrichtet werden. Von Fairness und Gerechtigkeit in den Beziehungen zwischen dem Norden und dem Globalen Süden kann hierbei keine Rede sein!
Anmerkungen
=>1 Siehe: https://www.quarks.de/technik/energie/was-die-allzweckwaffe-fuer-die-energiewende-leisten-kann
=>2 Siehe: https://www.reaktorpleite.de/76-frontpage/thtrrundbriefe/rundbriefe-2022/1329-thtr-rundbrief-nr-155-dezember-2022.html#Thema1
=>3 Siehe: https://de.wikipedia.org/wiki/Imperiale_Lebensweise
=>4 Siehe: https://www.fz-juelich.de/de/aktuelles/news/pressemitteilungen/2021/2021-05-20-wasserstoffatlas
=>5 Siehe: https://zeitschriftluxemburg.de/artikel/gruenenkolonialismus-ueberwinden

In: FUgE-News Ausgabe 01/2023