01.07.2023: Rückblick auf die Interkultur im RB Arnsberg – Frühjahr 2023

Das Interkulturprogramm zeigte sich zwischen Januar und April 2023 abwechslungsreich mit den Themen Anwerbeabkommen, Rebellion in Iran, Hammer Wochen gegen Rassismus und Filmforen.
von Marcos A. da Costa Melo
In: FUgE-News Ausgabe 01/2023

jenny-heimann+musa-deli60 Jahre Anwerbe abkommen
Am 27. Januar starteten wir im Mercure Hotel mit der Autorenlesung „Zusammenwachsen – Die Herausforderungen der Integration“, die sich mit dem 60-jährigen Jubiläum des Anwerbeabkommens Deutschland – Türkei befasste.
Musa Deli zeigte, wie das Bild von drei Generationen der Migrant *innen die jüngste Geschichte Deutschlands prägte. Er berichtete v. a. über seine Arbeit als Sozialpsychologe in Köln und darüber, wie die Traumata der türkischen Familien der 70er und 80er Jahre, die die fehlende Willkommenskultur Deutschland erlebten, die spätere Generation der Deutschtürken prägte. Beeindruckt waren über 40 Gäste, die in der Diskussion aktiv beteiligt waren, über damals getrennte Schulklassen für Deutsche und Migrant* innen, die die Hoffnung der kommenden Generation zerstörte.
Zum Ende der Lesung stellten sich einige Fragen, die zum Teil offenblieben: Wieviel Integration und Anpassung sind erwünscht? Herrschte ein Integrationszwang? Ist in den vergangenen Jahrzehnten ein gesunder Austausch zwischen den Generationen gelungen?
Mehr zur Veranstaltung unter https://fuge-hamm.org/2022/07/27/musa-deli-die-herausforderungen-der-integration

welcome-to-sodomFilmforum „Welcome to Sodom“
Die Dokumentation zu Europas größter Müllhalde mitten in Afrika und zu den VerliererInnen der digitalen Revolution erreichte am 22. Februar 2023 rund 15 Interessierte im Multikulturellen Forum Hamm. Beachtenswert war das Diskussionsforum mit Aliwucisse Idriss aus Ghana, der vor langer Zeit selbst in Agbogbloshie Elektroschrott verwertete, und Nicolai Roerkohl, Ghana-Fachpromotor des Ghana- Forum NRW e. V., der über Details der Entsorgungsprobleme von E-Schrott aus Europa in Westafrika sprach.
Die neue soziale Bewegung in Iran
rueckblick-01-23-interkultur-02Über 80 Personen lauschten gebannt am 28. Februar 2023 in der VHS Hamm den Ausführungen von dem bekannten Buchautor und Publizisten Bahman Nirumand zur aktuellen Lage in Iran. Der 87jährige Autor betonte, dass die Menschen in den letzten Jahrzehnten in Iran durch das Schah und das Mullah-Regime brutal unterdrückt wurden. In der aktuellen Situation geht es nicht nur um die Ablehnung des Kopftuchzwanges, sondern um die unerträglichen Diskriminierungen der Frauen. Inzwischen begehrt v. a. die jüngere Generation gegen die herrschenden Zustände im Land auf und lässt sich nicht mehr durch kleinere Zugeständnisse besänftigen. Das gesamte islamistische System wird von einer Mehrheit des iranischen Volkes abgelehnt.
Allerdings betonte Nirumand, dass immer noch viele Millionen Nutznießer des Regimes an den Schalthebeln der Macht sitzen und diese mit brutaler militärischer Gewalt aufrechterhalten wollen. Es komme in den nächsten Jahren darauf an, dass die demokratische Bewegung breite Allianzen zum Beispiel mit den Arbeitern im wichtigen Erdölsektor schmiedet, um eine Chance auf Veränderung zu haben, sagt Nirumand.
In der regen Diskussion mit dem Publikum wurde klar, dass noch ein langer und schwieriger Weg bevorsteht. Das Publikum, das mindestens zur Hälfte aus Menschen mit Migrationshintergrundbestand, war sehr beeindruckt von dem Vortrag und bedanktesich mit langem Applausbei Bahman Nirumand.

Hammer Wochen gegen Rassismus
Dank des Hammer Netzwerks rassismuskritische Arbeit fanden im März 2023 über 22 Aktionen, Lesungen, Vorträgen und Workshops statt. Drei Events heben wir hier hervor.
rueckblick-01-23-interkultur-01Am 7. März 2023 im Elisabeth- Lüders-Berufskolleg (ELBK) liest Hermann Schulz für ca. 30 Schüler*innen und Gäste aus seinem letzten Buch „Therese: Das Mädchen, das mit Krokodilen spielte“, das die Geschichte von Therese William erzählt, die im Jahr 1900 in Elberfeld/Wuppertal geboren wird. Ihre Eltern sind aus Togo und treten bereits seit Jahren in Deutschland bei Völkerschauen auf. Es geht um den Alltag Thereses vor und nach den Weltkriegen und über Rassismus in Deutschland, den die Protagonistin offen anspricht und reflektiert. Schulz gab dem Publikum durch diese Lesung Impulse für eine Diskussion und Auseinandersetzung mit Diskriminierung, Integration, Zugehörigkeit und nicht zuletzt mit der Geschichte des deutschen Kolonialismus.
Begeistert verfolgen die Schüler* innen die Erzählung von Hermann Schulz zum Buch „Therese“ bei der Lesung im ELBK Hamm.2023-03-24_Foto_Vergessene-Befreier_LBK-Hamm
Am 24. März 2023 führt Serge Palasie das Filmforum und tiefgehende Diskussionen mit ca. 40 Schüler*innen aus dem Friedrich- List-Berufskolleg „Europas vergessene Befreier“. Im Mittelpunkt stand die Filmcollage „8. Mai 1945 – Unsere Geschichte zählt“ von Lionel Somé und Marie Köhler, die den Blick auf Afrika im Zweiten Weltkrieg wirft und anprangert, dass wir unsere freiheitliche Demokratie nach 1945 nicht nur den damaligen Siegermächten sondern auch den zwangsrekrutierten Soldaten aus den europäischen Kolonien verdanken, da sie einen wichtigen Beitrag zum Sieg über Nationalsozialismus und Faschismus leisteten.
Im Zusammenhang mit der o. g. Kolonialgeschichte Afrikas fand am 14. März der Tansania-Vortrag mit Rudolf Blauth in Zusammenarbeit mit FUgE, VHS und Hammer Geschichtsverein statt. Der Referent berichtete u. a. über die Entstehung des Freundeskreises Bagamoyo e.V. in Ahlen und die ehemalige Hauptstadt Tansanias, die mit Daressalam die frühere Geschichte der Sklaverei Ostafrikas entscheidend prägte. Die Gründung Bagamoyos reicht bis ins 8. bis 9. Jahrhundert zurück. Ab schließend erläuterte Blauth die Veranstaltungsreihe mit den Gäs – ten aus Afrika in Ahlen Mitte des Jahres.rueckblick-01-23-interkultur-03
Am 31. März 2023 verfolgten im CVJM Hamm rund 40 Personen mit viel Interesse und großer Neugier die faszinierende Vorstellung von Sambanda Girassol. Nach der Filmvorführung „Olinda“ von Marco Keller sprachen Capoeira- Meister Kléber da Silva und Marcos da Costa Melo über die Freude und die Kulturvielfalt ihrer Heimatstadt aber auch über den Kampf für den Erhalt des indigenen und afrikanischen Musik- und Tanzstils im lokalen Karneval. Über die traditionellen Rhythmen und Tänze aus dem Film „Olinda“ und die Vermischung mit afrikanischer Musik sagte Kléber da Silva: „Diese Integration durch Kultur und Musik ist von großer Bedeutung, denn sie bietet die Möglichkeit, die gesellschaftlichen Zwänge zu reflektieren und die Diskriminierung zu durchbrechen. Musik gibt uns die Chance, andere Orte und Menschen besser kennenzulernen“.
Für gute Stimmung sorgte Sambanda Girassol vor dem CVJM vor dem Filmforum „Olinda“.
Auf Initiative des Interkulturpromotors fanden auch im Rahmen der Internationalen Woche gegen Rassismus am 25. März 2023 Capoeira-Workshops im Team – sportpark Siegen statt. Der brasilianische Kampftanz Capoeira, eng mit dem Kampf gegen rassistische Strukturen verbunden, findet ihren Ursprung in der Kolonialzeit Brasiliens. Afrikanische Sklaven entwickelten eine als Tanz getarnte Methode der Selbstverteidigung und eine Form sich gegen Unterdrückung aufzulehnen. Im Theorie – raum berichtete Guilherme Miranda über Capoeira, ihre Geschichte und heutige Bedeutung. In zwei Praxis-Workshops probierten junge Menschen die Kampftanz unter Anleitung von Capoeira-Meister Kléber da Silva Techniken aus. Musik, als fundamentaler Bestandteil der Capoeira, darf nicht fehlen. Dafür brachte Kléber da Silva die traditionellen Musikinstrumente aus Brasilien mit, um mit den Interessierten die Rhythmen der Capoeira anklingen zu lassen.
Höhepunkt meiner Interkulturarbeit war die Durchführung des Workshops „Saatgutvielfalt erhalten“ mit Cristiane Katzer, Präsidentin der Kleinbauernorganisation Assesoar aus Südbrasilien im Rahmen der Eine Welt Landeskonferenz 2023 am 17. März in Münster. Es ging darum, wie die Assesoar und ihre Partnerorganisationen sich trotz des Vormarsches der Agrarindustrie, der Soja- Monokulturen und Transgene für die Rettung und Erhaltung der biologischen Vielfalt (insbesondere des Saatguts) einsetzen, um die Autonomie der Bauernfamilien zu stärken. Cristiane Katzer berichtet u. a. über Saatguthäuser, -feste und -messen, die Einführung ökologischer Technologien und Lobbyarbeit.
Musikalisch war das Interkulturprogramm dieses Frühjahres am 10. Januar von Ana Carla Maza aus Kuba, am 7. Februar von Torgeir Vassvik aus Norwegen, am 14. März von Rodjenice-Gesang- Duo aus Serbien und am 18. April „Winds of Aral Sea“ aus der Kulturregion Karakalpakistans um den Aralsee in Zentralasien. In diesen interkulturellen Konzerten, veranstaltet vom Kulturbüro im Kulturbahnhof Hamm, wurden alte vokale und instrumentale Formen mit zeitgenössischem Stil verknüpft.

Ausführliche Infos zu den o.g. Interkulturveranstaltungen unter www.fuge-hamm.org/interkulturarbeit-im-rb-arnsberg
Das Promotor*innen-Programm für interkulturelle Öffnung wird von der Landesregierung NRW gefördert.